Seidentanz
ihr kühnes, selbstbewußtes Wesen wurde dadurch hervorgehoben.
»Ihre Fortschritte in Japanisch sind bemerkenswert«, stellte sie fest. »In so kurzer Zeit!«
»Fremdsprachen waren nie ein Problem für mich, obwohl ich mich in anderen Dingen ziemlich borniert zeigen kann.«
Sie lachte mit einem warmen Schimmer in den Augen.
»Ach, das glaube ich nicht.«
Eine junge Mitarbeiterin brachte zwei Schalen Tee. Als sie gegangen war, sagte Frau Sakamoto:
»Daß Sie im Onjôkan arbeiten wollen, freut mich. Sie müssen nun beim ›Immigration Office‹ in Kyoto ein besonderes Langzeitvisum besorgen. Inzwischen werde ich für Sie die Bewilligung für eine Teilzeitbeschäftigung beantragen. Das sollte ohne große Schwierigkeiten möglich sein. Ausländern ist es eigentlich nicht gestattet, eine Stelle anzunehmen. Aber man macht Ausnahmen für Leute, die auf einem bestimmten Gebiet besondere Kenntnisse mitbringen. Was in Ihrem Fall ja zutrifft«, setzte Chiyo Sakamoto amüsiert blinzelnd hinzu.
Aus Budgetgründen konnte sie mich nur für drei Tage in der Woche beschäftigen. Das anfängliche Stundengehalt entsprach ungefähr dem, was ich im »Wacholderheim« verdient hatte. Ich war zufrieden. An Geld hatte ich nie große Ansprüche gestellt.
Mir war es egal, wieviel ich besaß. Tänzerinnen lernen früh, sich einzuschränken, ihre Phantasie zu entwickeln, aus dem Nichts etwas zu machen. So dachte ich eben; Lea respektierte das, wenn sie auch für meine genügsame Lebensweise nichts übrig hatte. Was mich interessierte, war, mit den Kindern zu arbeiten.
»Ich habe nie geglaubt«, sagte Chiyo Sakamoto, »daß wir imstande sind, die Welt zu ändern. Um die Welt zu ändern, sind wir alle nicht vollkommen genug. Vielleicht können wir etwas bewirken, aus dem Wissen heraus, daß etwas getan werden muß. Aber ändern können wir nur uns selbst.«
»Nur mit Hilfe der anderen«, sagte ich.
Sie nickte. Wir verstanden uns. Es gibt Menschen von faszinierender Ausstrahlung, kühl und gleichzeitig magisch anziehend. Chiyo Sakamoto gehörte zu ihnen.
»Die Zukunft sind nicht nur die nächsten fünf Minuten«, sagte sie. »Die nächsten fünfzig Jahre sind durch das Werden unserer Kinder bestimmt. Wir suchen eine neue Art, die Kinder durch Spiel, Tanz und Gesang zu bilden. Leider fördert die Spielzeugindustrie, wie sie Amerika und auch Japan heutzutage entwickelt, viel zu oft Konkurrenzdenken und Aggression. Der Zeitgeist ist negativ, und die Seelen unserer Kinder sind porös.
Sie nehmen diesen Zeitgeist auf und erliegen ihm schließlich.«
»Er ist ja auch nicht ohne Anziehungskraft.«
Wir schwiegen kurz. In diesem Schweigen ertönten die fröhlichen Stimmen der Kinder, die ein Lied sangen. Wieder glitt ein Lächeln über Frau Sakamotos perfekt zurechtgemachtes Gesicht.
»Jedes japanische Spiel hat sein besonderes Lied. Früher hatten die Kinder Spiele für die feuchten Tage des Frühlings, für den heißen Sommer, für die kalte, klare Winterzeit. Das gab ihnen gleichzeitig ein Gefühl für den Wechsel der Jahreszeiten.
Viele dieser alten Spiele waren in Vergessenheit geraten. Nun haben sie die Kinder mit Begeisterung wiederentdeckt.«
»Sie beziehen auch die ältere Generation mit ein, nicht wahr?«
»O ja!« rief Chiyo Sakamoto lebhaft. »Sie hat den Kindern so viel zu sagen. Die Generationen müssen füreinander dasein.
Denn woher wissen die Jungen, wie sie leben sollen, wenn sie nicht jene anhören, die gelebt haben?«
Sie hoffte, daß meine Arbeitsbewilligung bald eintraf.
»Ich muß Sie um etwas Geduld bitten. Die Behörden haben eine lange Leitung. Inzwischen sind Sie jederzeit bei uns willkommen. Harada-San wird Sie gerne mit Ihren zukünftigen Arbeitskollegen bekanntmachen«, setzte sie hinzu und zeigte auf die beiläufigste Art, daß sie über unsere Situation unterrichtet war.
»Woher wußte sie so gut über uns Bescheid?« fragte ich Kunio, als ich ihm von dem Gespräch erzählte. Er goß mir ein Glas Bier ein, wobei er herzlich lachte.
»Als hochvornehme Kaiserstadt ist Nara gleichwohl ein Nest
– ein Klatschnest. Das hast du doch selbst erlebt. Ich kann keinen Schritt tun, ohne daß die Leute wissen, wer ich bin.«
»Kann man es ihnen übelnehmen?«
»Kein Recht auf Anonymität, früher hat mich das wütend gemacht«, gestand er.
»Die Situation hat auch Vorteile, sieh das doch ein!«
»Ich habe mich damit abgefunden. Sie hat, wie du ganz richtig sagst, ihre Vorteile. Aber die sind durch die
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