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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Denken war langsam. Das Üben fiel mir schwer.
    Ich brach vorzeitig ab, duschte, zog mich warm an und machte mich auf den Weg zum Onjôkan. In zwei Wochen war Neujahr, die Proben für unser Märchenspiel verlangten viel Vorbereitungen. Ich befaßte mich mit der Herstellung einer Maske aus Pappmache für die Waldfee, die ich in der Aufführung darstellen würde. Während meine Hände arbeiteten, wanderten meine Gedanken ruhelos umher. Von einem Tag zum anderen war die Temperatur gesunken; es wehte ein eiskalter Wind. Auf den Steinen lag Rauhreif, und am Himmel zogen fahle Wolken.
    Irgend etwas beschäftigte mich, ich hätte nicht sagen können, was es war. Es hing mit Dingen zusammen, die tief in mir verschüttet lagen, in einem fernen Winkel meines Bewußtseins.
    Alle Geräusche, selbst das Rascheln des Papiers, verursachten mir ein Unbehagen. Ich hatte das Gefühl, daß die Erde unter meinen Füßen dichter und gespannter wurde, als ob sie im nächsten Augenblick zu zerspringen drohte, wie eine zu straff gespannte Kruste. Unruhig saß ich da, während meine Hände sich wie von selbst bewegten. Geschickt und methodisch formte und klebte ich das Pappmache, bemalte es mit leuchtenden Farben. Nach einer Weile richtete ich mich auf, mit steifem Rücken. Ich hatte Schmerzen in den Gelenken und ein starkes Bedürfnis nach Schlaf Gähnend betrachtete ich die Maske. Sie war perfekt gelungen: ebenmäßig, geheimnisvoll, genau wie ich sie mir vorgestellt hatte. Während die Farben trockneten, überlegte ich, daß eine Krone aus grünem Blattwerk die Maske wundervoll ergänzen würde. Es mußte ein helles, schönes Grün sein, die kräftige Farbe der Blätter im Frühling. Die Maske war inzwischen getrocknet. Ich ergriff sie behutsam und stand auf, wobei ich leicht stolperte. An der Wand war ein großer Spiegel angebracht. Ich trat auf ihn zu, hielt die Maske vor mein Gesicht. Und schlagartig entglitt und verschob sich die Zeit: Die Maske krallte sich fest, überzog mein Gesicht, wie eine Haut aus Eis. Die Kälte umhüllte mich ganz, sie lag unmittelbar auf den Augäpfeln. Durch die Löcher der Maske wirkten alle Dinge fern, verschwommen und gleichzeitig gläsern klar. Ich sah das fremde Antlitz vor mir, andersgeartet, als ich es geformt hatte.
    Ich hatte für die Maske viel Zeit und Liebe aufgebracht, und jetzt entzog sie sich mir, besser gesagt, sie verwandelte sich.
    Etwas Unheimliches strömte in sie ein, das stärker war als ich und von mir Besitz ergriff. Erinnerungen zuckten und flackerten wie Blitzlichter. Vor meinen Augen schwebten die Bilder eines längst vergessenen Traumes: berstende Gebäude, einstürzende Pfeiler, explodierende Feuergarben und eine blutige Hand, aus der Erde ragend, die sich langsam, blütengleich bewegte. Ein Schauer erfaßte mich, meine Waden zitterten.
    Brechreiz stieg in mir auf. Diese Bilder wollte ich nicht sehen.
    Sie waren schrecklich, erschreckend. Ich hatte sie vergessen. Es war damals gewesen, als ich die Maske des Ranryô-ô trug und Zwiesprache mit ihm hielt. Was hatte der Ranryô-ô gesagt?
    Oder vielmehr, was hatte ich geglaubt, daß er gesagt hatte? Ich nahm hastig die Maske ab, starrte in den Spiegel. Mein Gesicht war wieder da, blaß, als ob es etwas von der grünlichen Farbe angenommen hätte. Ich schloß halb die Augen, mir schwindel-te. Meine Haut war mit einem leichten Schweißfilm überzogen.
    Was ich jetzt brauchte, war eine Tasse Kaffee. Ich legte die Maske auf den Tisch und ging nach draußen; im Gang, neben dem Empfang, befand sich eine Kaffeemaschine. Miki Kawa-saki, die neue Empfangsdame, lächelte mir zu. Mit ihrem Pferdeschwanz und ihrem roten Pullover sah sie wie ein Schulmädchen aus. Ich lächelte zurück und ließ mir eine Tasse einlaufen.
    Ich riß die winzige Papierhülle auf, schüttete Zucker in die Tasse und rührte um. Der Kaffee war nicht gut. Ich trank ihn zu schnell und verbrannte mir die Zunge. Nein, dachte ich, ich werde mit der Maske nicht auftreten. Alles machte mich nervös, nichts war logisch. Was war es denn nur, was mich so beunruhigte? Ich will es nicht wissen, dachte ich, ich will mit diesen Dingen nichts mehr zu tun haben. Sie passen nicht an diesen Ort. Wie soll ich mit Kindern arbeiten, wenn sich ge-fährliche Schatten in mir regen? Kinder haben ein feines Ge-fühl für diese Dinge; ich will sie nicht verunsichern.
    Nein. Ich würde die Maske nicht tragen. Weder diese, noch eine andere. Masken bekamen mir nicht. Weg damit, in den Papierkorb!

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