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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Ich würde mein Gesicht mit einem Blattmuster bemalen, winzige Zweige andeuten, die Augen mit gelber Schminke in zwei große Blüten verwandeln. Ja, das würde hübsch sein. Ich wollte Ruhe für die Kinder, dachte ich, aber ich wollte sie für mich. Ich wollte an mein Spiel glauben, wie früher, als ich Kind war. Wie viele Puppen hast du damals zerbrochen, Ruth?
    Kunio kam erst spät abends zurück; ich hörte, wie er den Wagen in den Hof fuhr. Das Licht der Scheinwerfer glitt über die Wände und erlosch. Ich atmete erleichtert auf; Schneeflok-ken wirbelten in der Dunkelheit, und die Straßen überzog Glatteis. Kunio stapfte schwerfällig die Treppen hinauf. Ich öffnete, während er draußen seine Stiefel abschüttelte; er roch nach Holzkohle, sein Gesicht war eingefallen, seine Haut grau vor Erschöpfung.
    »Was ist passiert?« fragte ich. Er verzog unfroh die blassen Lippen.
    »Das klingt, als wollte ich Eindruck schinden. Aber ich war den ganzen Tag in der Werkstatt. «
    »Und dein Vater? Warst du nicht mit ihm in der Klinik?«
    »Zunächst, ja. Und dann wollte er arbeiten.«
    »Bei dieser Kälte?«
    »Er wäre die ganze Nacht geblieben. Ich mußte ihn aus der Schmiede zerren. Alles wieder in Ordnung bringen.«
    »Nimm sofort ein heißes Bad«, sagte ich. »Du bist ja total durchfroren.«
    Kunio zog sich aus, langsam, mit steifen Bewegungen, und ging ins Bad. Ich hörte, wie er die Abdeckung der Wanne zu-rückrollte, sich mit heißem Wasser übergoß. Ich öffnete den Kühlschrank, holte eine Flasche Cognac heraus und nahm ein kleines Glas. Dann schob ich die Glastür zum Bad auf und ging hinein. Dampfschwaden hingen in der heißen Luft. Kunio saß mit angezogenen Knien in der Wanne und lehnte den Hinterkopf an den Rand, die Augen halb geschlossen. Sein Gesicht war wieder entspannt, und sein Atem ging ruhiger. Ich setzte mich auf den Rand, reichte ihm das Glas, in das ich nur wenig Cognac gegossen hatte. Kunio hatte keine besondere Vorliebe für Cognac, doch er trank ihn manchmal, wenn er müde oder aufgeregt war. Er richtete sich auf, blinzelte und nahm einen tiefen Schluck.
    »Jetzt ist mir besser«, murmelte er.
    Ich tupfte ihm mit dem kleinen weißen Waschlappen den Schweiß vom Gesicht.
    »Und dein Vater?«
    Er seufzte.
    »Der alte Takeuchi hat ihn auskultiert und durchleuchtet und unter tausend Entschuldigungen gebeten, sein Leben ab sofort anders zu organisieren.«
    »Was meinte er mit organisieren?«
    »Nicht mehr in der Werkstatt arbeiten. Kein einziges Mal mehr.«
    »Und?«
    »Mein Vater war höflich. Und kalt wie ein Eisblock. Wenn ihm etwas nicht paßt, wird er herablassend. Zu Unrecht obendrein.«
    »In seinem Alter hat man Narrenfreiheit.«
    »Leider. Alle Ärzte sind gleich, sagte er zu mir, als wir aus dem Sprechzimmer kamen. Man braucht sie bloß anzusehen, und schon fühlt man sich krank. Sogar auf Takeuchi sei kein Verlaß mehr, der Trottel beharre auf ganz sinnlosen Dingen.
    Und er brauche noch lange keinen Katheter. Er bebte vor Zorn, ich habe ihn selten so aufgebracht gesehen. Er befahl mir, mit ihm in die Werkstatt zu gehen. Ich protestierte. Er schnauzte mich an, wieso ich es überhaupt wagte, ihm zu widersprechen.
    Also gut. Ich heizte den Schmiedeherd, und er zog den ganzen Arbeitsvorgang durch. Wie in Trance, als ob die Werkzeuge für ihn gewichtslos seien. Neun Stunden lang, kannst du dir das vorstellen? Die Klingenflachseite ist jetzt perfekt.«
    »Fertig, endlich?«
    »Fertig, ja. Die schönste, die ich bei ihm gesehen habe. Ich fragte ihn: ›Bist du jetzt endlich zufrieden?‹ Er sah mich böse an: ›Dazu ist noch kein Anlaß. ‹ Er hatte glasige Augen, konnte kaum sprechen, sich nicht mehr auf den Beinen halten. Ich mußte ihn stützen, wie ein kleines Kind. Und dazu noch höflich sein, verdammt, wo ich ihn am liebsten angeschrien hätte. Rie hatte inzwischen das Badewasser für ihn erhitzt. Sie kochte ihm Reisschleim, das einzige, was er noch zu sich nimmt, und brachte ihn ins Bett.«
    »Hoffentlich schläft er endlich.«
    »Nein. Nachts liegt er stundenlang wach, beschäftigt sich mit der Frage nach dem Horimono, der Gravur. Er will da etwas ganz besonderes schnitzen, zerbricht sich seit Wochen den Kopf darüber. Und macht aus jedem Detail eine Geheimniskrämerei.«
    »So ist er eben.«
    »Er war schon früher wunderlich gewesen, aber nie so schlimm wie jetzt. Er weiß, daß ihm nur noch wenig Zeit bleibt.«
    Ich hob die Flasche auf und schenkte ihm noch einmal Cognac ein.

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