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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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brannte Licht, unsere Umrisse waren in der dunklen Scheibe sichtbar. Naomi senkte langsam die Arme. Sie hielt die Augen auf ihr Spiegelbild gerichtet. Ihr Gesicht war plötzlich steinern geworden.
    »Nein, nicht von mir.«
    Yoshito trat in T-Shirt und Pyjamahose aus dem Bad, murmelte gute Nacht. Er verzog sich lautlos in sein Zimmer und schloß ebenso leise die Tür.
    »Es ist spät«, sagte ich.
    Ich lag schon im Bett, als Naomi aus dem Bad kam, ihr gelbes Frotteetuch auf einen Stuhl warf und neben mir unter die Decke schlüpfte. Ihr heller Körper wirkte braun auf dem wei-
    ßen Laken; in meinen Gedanken war sie stets weiß geschminkt, auf eigentümliche Art von mir abgegrenzt. Hinter der Schminke war sie unsichtbar. Auch jetzt, als ich ihren schmalen, biegsamen Körper in den Arm nahm, lag eine Distanz zwischen uns; sie war woanders. Ich betrachtete ihr Gesicht im Lampenlicht.
    Sie hielt die Augen halb geschlossen, die Pupillen waren nur ein goldener Faden. Sie schaute mich an und irgendwie durch mich hindurch. Die Lippen waren leicht geöffnet. Unter dem Mund hatte sie ein winziges Muttermal. Ich streichelte ihren Körper, der zierlich und vollkommen war. Alles sanft, klein, wie nur angedeutet: eine Gemme, aus feinem Elfenbein geschnitten. Keine ausladenden Kurven, keine Fleischpolster, nichts als zarte Konturen und feste, warme Muskeln. Ich atmete den Geruch ihrer Haut ein, die nach nichts roch als ein wenig nach Seife. Ich küßte ihre Lippen; ihr Mund schmeckte nach Zahnpasta, mit einem kleinen Nachgeschmack nach Tabak. Sie erwiderte meinen Kuß mit der Zungenspitze, streckte sich an meinem Körper entlang und lächelte.
    »Du magst Frauen, nicht wahr?«
    »Manchmal.«
    Sie wandte das Gesicht ab; ihr Profil lag auf dem Kissen, von ihrem rötlich schimmernden Haar halb verhüllt. Sie bot mir nur ihre Wange an, die ich küßte.
    »Heute abend bin ich traurig«, sagte sie.
    »Warum?«
    »Immer, wenn ich die ›Vogelfrau‹ tanze, bin ich traurig.«
    Ich lehnte mich auf den Ellbogen zurück, um sie anzusehen.
    »Gibt es einen besonderen Grund?«
    Ihr Gesicht zog sich leicht zusammen.
    »Es ist das letzte Stück, das Keita inszeniert hat.«
    »Keita?«
    »Mein Mann«, sagte sie.
    »Ach«, rief ich, »bist du verheiratet?«
    Sie lächelte; es war ein seltsames Lächeln, schalkhaft und schmerzlich zugleich.
    »Ja, und ich habe einen Sohn. Er lebt bei meiner Mutter in Kobe.«
    Ich dachte, sie wird mich immer in Erstaunen setzen.
    »Du? Einen Sohn? Wie alt ist er?«
    »Bald vierzehn.«
    »So groß schon? Mit welchem Alter hast du denn geheiratet?«
    »Mit zwanzig. Mein Vater war natürlich dagegen. Aber ich erwartete Seiji und wollte nicht abtreiben.«
    »Und wo ist dein Mann jetzt?« fragte ich.
    Sie schwieg. Ihr Blick glitt an mir vorbei in die Ferne.
    »Du willst es nicht sagen?«
    Sie seufzte.
    »In Tokio«, erwiderte sie. »Ich habe ihn verlassen. Ich wollte nicht mit ihm denselben Käfig bewohnen.«
    »Was war denn mit ihm?«
    Sie streichelte meine Schulter, sehr zärtlich.
    »Er war wahnsinnig. Am Anfang nicht. Ich meine, nicht so, daß es ihn krank machte. Niemand außer mir ahnte etwas. Er war ein wunderbarer Tänzer. Er sagte, der Tanz sei die älteste Form menschlichen Ausdrucks. Die Menschen tanzten schon vor zwanzigtausend Jahren. Er sagte auch, das hinterläßt Spuren im Gehirn. Der Tanz mache die Menschen hell wie Feuer, aber die Besten mache er schwarz und dunkel wie die Nacht. Er kam in eine Heilanstalt.«
    Ich entsann mich ihrer Fragen. Und auch der Art, wie sie auf manche Dinge einging, die ich erzählte.
    »Ich sehe schon«, murmelte ich.
    Sie ließ ein kindliches Stöhnen hören.
    »Das war sehr schrecklich.«
    »Unerwartet, vielleicht, oder?«
    »Vielleicht, ja… aber ich hätte es wissen müssen. Im Gesicht sah er manchmal abgespannt aus, aber er tanzte wie früher, besser sogar. Seine Auftritte inszenierte er selbst. Sie wurden immer intensiver. Er schockierte das Publikum, überbot sich im Provozieren, aber das gehörte dazu. Ich war beunruhigt, aber ich bewunderte ihn. Ich liebte seine Paradoxe, seinen Humor, seine Sinnlichkeit, seinen völligen Mangel an Vorurteilen. Und er war schön, wenn du nur wüßtest! Eine Haut wie Gold, prachtvolle Zähne, Augen wie warmes Obsidian. Und sein Haar! Rostbraun, üppig und gewellt. Es reichte ihm bis über die Hüften, hing ihm geschmeidig und lose herunter. Ich bürstete es ihm. Er mochte, daß ich das tat. Wenn er tanzte, peitschte es die Luft. Niemals

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