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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Angeschnallt warteten wir auf den Start. Die Maschine war voll besetzt; Naomi und ich saßen zusammen. Den Fensterplatz hatte ein Amerikaner, der gleich nach dem Start eine Fachzeitschrift aufschlug.
    Ich rieb mir die Augen: Müdigkeit, wie immer beim Fliegen.
    Auch Naomi hielt die Lider geschlossen. Das Flugzeug schoß durch leuchtende Wolken, auf denen sein Schatten vor- und zurücksprang. Dann fiel die Wolkenwand ab. Wir gewannen Höhe, waren bald nur noch von Himmel umgeben, tiefblau und unendlich. Schon roch es nach Essen. Die schmalen Metallwa-gen wurden durch den Mittelgang geschoben. »Western or Japanese Meal?« fragte die Stewardeß. Naomi und ich waren hungrig und aßen mit Appetit. Mit Stäbchen umzugehen hatte ich in etlichen China-Restaurants bereits geübt. Japanische Gerichte waren mir weniger vertraut. Ich mochte die grünen Nudeln, die in einer kalten Brühe schwammen, die Dampfeier in ihrem hübschen Schälchen aus Porzellan, die Geflügelstückchen, nach Karamel duftend und so weich, daß sie auf der Zunge schmolzen.
    Nach dem Essen zeigte man einen Film, dann noch einen. In der Dunkelheit nahm ich Naomis Hand zwischen meine Hände und preßte sie an die Wange. Sie streichelte mein Gesicht mit den Fingerspitzen. Später schlief sie, den Kopf an meine Schulter gelehnt. Im Flugzeug war alles friedlich, hin und wieder ging eine Stewardeß durch den Gang, brachte Wasser und Orangensaft, beruhigte ein nervöses Kind.
    Naomi und ich wachten ein paarmal auf, weil uns die Glieder schmerzten. Wir gingen im Gang auf und ab, um uns Bewegung zu verschaffen. Dann wurde es Tag, der Himmel leuchtete orangerot. Man servierte das Frühstück. Die Brötchen waren knusprig, der Eierkuchen schmackhaft und locker. Der Frucht-salat war aus frischen Früchten, nicht aus der Dose. Naomi lächelte mich an.
    »Der Kaffee ist gut, oder?«
    Ich lehnte mich zurück, seufzend vor Wohlbehagen.
    »Ich glaube, ich brauche noch eine zweite Tasse!«
    Später standen die Fluggäste vor den Toiletten Schlange. Wir wuschen uns, so gut es ging, putzten uns die Zähne. Die Mü-
    digkeit straffte Naomis Haut, statt sie zu zerknittern, wie es bei manchen Frauen der Fall ist. Sie war unendlich anziehend. Wir unterhielten uns über Gastspiele und Workshops, über die Reaktionen des Publikums, über Kritiken. Unsere Stimmen klangen matt und hohl im Summen der Triebwerke. Wir flogen bereits über dem japanischen Meer. Es gab noch einen Imbiß, eine kalte Platte. Naomi und ich aßen, um die Zeit zu vertreiben. Etwas später knisterte die Stimme des Kapitäns durch den Lautsprecher. Die Landung würde planmäßig um zwölf Uhr fünfundvierzig erfolgen. Für die Kansai-Gegend war schönes Wetter angesagt. Es wehte ein leichter Wind, der die Temperatur angenehm machte. Der Flughafen, im südlichen Teil der Bucht von Osaka, war auf einer künstlichen Insel erbaut. Eine Eisenbahnbrücke verband ihn mit dem Festland. Als sich das Flugzeug über die Landepiste senkte, schien der Asphalt, flirrend im Sonnenlicht, auf dem tiefblauen Meer zu schwimmen.
    Der Flughafen selbst schien nicht aus Glas und Beton, sondern aus irgendeiner anderen Substanz geschaffen, klar wie Eis, umgeben von den Kondensstreifen der steigenden Maschinen.
    Auf Rolltreppen schwebten wir durch hohe, luftige Hallen, baumbewachsen und lichtdurchströmt. Endloses Blau auf allen Seiten. Ich merkte kaum, daß ich mich bewegte, einen Fuß vor den anderen setzte. Schlafmangel, Müdigkeit, das Schwanken zwischen vertrauten Gefühlen und verwirrenden Bildern. Neue Schriftzeichen, unverständliche Ansagen. Ich war von Erregung erfüllt. Freude? Ja, auch das. Mich überkam der verrückte Wunsch, hier zu tanzen, in diesen Hallen und Räumen, die so strukturiert waren, daß sie unstrukturiert wirkten. Alle Elemente des Übergangs brachten meine Gedanken in Schwung. Ich ließ mich treiben.
    Ein Brückenbogen, schwindelerregend windig, zwei große Rolltreppen. Vor uns die Bahnhofshalle. Der Zug wartete bereits, blitzsauber, mit samtbezogenen Bänken. Die Reisenden drängten sich herein, mit Koffern und Taschen beladen. Der Zug fuhr ab, gleichmäßig summend, pünktlich auf die Sekunde genau. Er bohrte sich durch kühle Hallen, durch künstliches Licht, und plötzlich explodierte der Sonnenschein, der Zug schoß in blendendes Azur. Unter uns gab es keine Erde; nur Brückenpfeiler, und darunter, daneben, schäumend und glitzernd, das Meer. Dann näherte sich der Horizont, weiße Hochhäuser

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