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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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steckte er auf der Bühne sein Haar hoch. Um sich mehr Bewegungsfreiheit zu verschaffen, hielt er es mit einem Stirnband zusammen.
    Er war fünfzehn Jahre älter als ich. In den siebziger Jahren hatte er viel in Europa getanzt. Als er nach Japan zurückkam, war er berühmt. Wir liebten uns und heirateten, ich brachte meinen kleinen Sohn zur Welt. Eine Zeitlang schien es ihm besserzugehen. Wir waren glücklich zusammen, unsagbar glücklich.
    Die Veränderung trat ganz allmählich ein, auf heimtückische Weise. Nie konnte ich wissen, wann der Wahnsinn sich rührte und hinterhältig zuschlug. Wir traten zusammen auf, weil wir uns dadurch näher fühlten. Und irgendwann wurde der Tanz immer wichtiger für mich. Ich war jung und stark. Meine Kräf-te erwachten in dem Maße, in dem die seinen nachließen. Die Bühne wurde mein Himmel und sein Abgrund. Wie konnte er nur des Tanzes so müde werden? Was machte ihn so alt, so verbraucht? Er sagte, er empfinde seinen Körper als einen matten, herabhängenden Zweig. Er bekam Wutanfälle, zerstörte Bühnenbilder, zerfetzte Kostüme, brachte sich mit einem Rasiermesser Wunden bei. Er inszenierte Stücke für mich und tobte, wenn ich es nicht zu seiner Zufriedenheit machte. Er war nie zufrieden. Ich gehorchte, wie man einem Naturereignis gehorcht. Er schlug mich mit Worten wie mit einer Peitsche.
    Dann stand er in den Kulissen, wenn ich tanzte, und litt Qualen.
    Denn seine Bedrückung wuchs, je mehr er sah, wie ich das wurde, was er aus mir machen wollte. Ich versuchte ihm zu widerstehen, aber es ging über meine Kräfte: Jede Gegenwehr endete immer wieder mit dem Liebestaumel in seinen Armen.
    Ich habe ihn nicht zerstört, nein, er zerstörte sich selbst, sehr bewußt, sehr methodisch. Er begann zu trinken, nahm Drogen.
    Am Anfang nur Marihuana oder LSD, später härtere Sachen. Er sagte, er brauche Drogen als Medikament gegen die Schizo-phrenie. Drogen gäben ihm die Erkenntnis, nicht wie eine Maschine zu handeln, sondern wie ein funktionierender Körper. Es wurde immer schlimmer. Unser Sohn wurde fünf und mußte bald in die Grundschule. Er sollte ein gutes Bild von seinem Vater haben. Heimlich faßte ich den Entschluß, Seiji zu meiner Mutter nach Kobe zu bringen. Als ich ohne das Kind nach Tokio zurückkam, schlug er mich ins Gesicht. Hätte ich mich geduckt, hätte er vielleicht nicht so hart zugeschlagen. Ich war so überrascht, daß ich mich nicht wehrte und auch nicht aufstand, als er mich zu Boden warf und mit den Füßen trat. So viel Haß, dachte ich verwundert, so viel Haß hat er im Leib.
    Am nächsten Tag verließ ich ihn. Ich mietete ein Studio in Kyoto, damit ich näher bei Seiji sein konnte. Zwei Tage später war Keita da. Wir tranken Sake, umarmten uns weinend. Es war ein Dahintreiben auf dem Strom der Leidenschaft, ein Wegschwemmen unseres Zorns in dieser gemeinsamen Lust.
    Mein Begehren weckte seine Lebenskraft so, daß eine Besserung eintrat und er eine Zeitlang wieder war wie früher. Daß Seiji bei meiner Mutter aufwuchs, akzeptierte er inzwischen; er sah ein, daß es das Beste für unser Kind war.
    Wir gingen auf Tournee mit einer neuen Inszenierung. Die Premiere fand im Palace-Theater in London statt. ›Der Flug der Vogelfrau‹ wurde ein Erfolg. Ich spürte die Elektrisierung im Publikum. Ich hatte das Gefühl, nicht Einstudiertes und Ange-lerntes darzustellen, sondern ganz aus dem Bewußtsein der Situation und des Augenblicks zu tanzen. Es war das erste Mal, daß ich es auf diese Weise erlebte. Doch nach der Vorstellung war Keita verschwunden. An diesem Abend goß es in Strömen.
    Wir suchten ihn überall und fanden ihn schließlich, niedergekauert und weinend im Hinterhof des Theaters. Er hatte sich irgendein Zeug in die Venen gespritzt. In einer Art Tobsuchts-anfall verbot er mir, die ›Vogelfrau‹ ein zweites Mal zu tanzen.
    Ich hätte ihn erwürgen können. Ich schrie ihn an, er sei nicht reif genug, um meinen Triumph zu ertragen. Die ›Vogelfrau‹
    sei meine beste Rolle, ich wollte mir seiner verdammten Eifersucht wegen den Erfolg nicht nehmen lassen. Da wurde er plötzlich ganz ruhig. Ach, sagte er, glaubst du wirklich, daß du besser tanzt als ich? Und am folgenden Abend kleidete er sich in den Hochzeitskimono, steckte sich Gladiolen ins Haar und tanzte die Vogelfrau. Er war unvergleichlich, fast überirdisch schön. Ich stand in den Kulissen und weinte vor Liebe, wenn-gleich in meinem Innern alles dunkel war. Ich hatte das Gefühl, daß er

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