Seidentanz
schon noch halten, solange ich die Vogelfrau tanze!«
Anschließend bat sie mich, ihr beim Schminken behilflich zu sein. Sie holte einige Tuben aus ihrem Sportsack. Es sei die gleiche Grundierung, sagte sie, mit der sich die Geishas schminkten. Ich probierte die Farbe auf dem Handrücken, sie trug sich leicht und gleichmäßig auf. Inzwischen hatte Naomi eine Duschhaube aufgesetzt, die ihr Haar schützte. Sie löste die Kordel, ließ mit einer Schulterbewegung den Morgenmantel fallen. Darunter war sie, außer ihrem Lendenschurz, nackt.
Während Yoshito gleichmütig in einer Illustrierten blätterte, begannen wir mit der Prozedur. Vom Haaransatz bis zum Hals trug sie die Farbe selbst auf. In dem weißen Geistergesicht leuchteten die Augen wie Bernstein, bevor sie die Lippen kirschrot färbte und somit die ganze Aufmerksamkeit auf den Mund lenkte. Dann hielt sie mir den bloßen Nacken mit leicht gesenktem Kopf hin. Ich schminkte sie von den Schulterblättern abwärts, den starken, biegsamen Rücken entlang, bis zu der schmalen Taille und über die Hüften hinaus. Dann die Achselhöhlen, die Brüste, den flachen Bauch. Ihre Haut roch weder nach Tabak noch nach Parfum, noch nach irgendeinem Deodo-rant, sondern ganz einfach nach Sauberkeit. Der zierliche Körper war in den Proportionen perfekt. Schenkel und Waden kräftig, die Füße breit und sehr klein, mit einem hohen Rist und gelenkigen Zehen. Ich fühlte unter den Fingerkuppen die glatte, warme Haut, wächsern und zart wie ein Blütenblatt. Sie stand da, gelassen und mit unbewegtem Gesicht, sie genoß die Be-rührung, ich spürte es an dem unmerklichen Vibrieren ihrer Nerven. Der Druck meiner Hände gegen ihren Körper verstärk-te sich leicht. Ihr Atem, der im Bauch begann, strömte langsam und gleichmäßig aus ihr heraus. Mir war, als ob jetzt ein anderer Glanz in ihre Augen trat. Doch auf besondere Weise galt dieser Glanz nicht mir, ihre Augen richteten sich auf ein fernes Bild, ein Phantom. Dabei summte sie traumbefangen ein Lied vor sich hin, ein Lied in französischer Sprache.
»Mon amour,
mon cher amour,
ma déchirure,
je te porte en moi
comme un oiseau blessé… «
Der Flaum auf meinen Armen richtete sich auf. Ich unterbrach sie mit rauher Stimme:
»Du sprichst aber gut Französisch.«
Sie lächelte mich an. Ihre Antwort klang unbeschwert.
»Nur das Nötigste.«
»Das Lied ist nicht nötig.«
»Nein, aber schön. Und so traurig, oder?«
Ein plötzlicher Luftzug ließ mich erschauern. Das Gefühl war mir unsympathisch und ergab keinen Sinn. Es wird kalt, stellte ich fest, irgendwo muß ein Fenster offen sein. Ich fragte Naomi:
»Frierst du nicht?«
Sie verneinte mit sanfter Kopfbewegung. Doch sie hatte zu singen aufgehört. Ich war aus irgendeinem Grund froh darüber.
Mein Unbehagen ließ nach; bloße Einbildung, dachte ich, und öffnete eine zweite Tube Grundierung. So, die Beine jetzt. Und die Lenden. Das Innere ihrer Schenkel war warm, das äußere kalt. Ihr Gesäß fühlte sich ebenfalls kühl an. Ihre Muskeln erbebten unmerklich, als ich mit beiden Händen über die elasti-schen Rundungen strich. Ihre Haut leuchtete nun wie Marmor, fast bläulich. Yoshito sagte etwas und ging hinaus. Die Tür schwenkte auf; wir vernahmen ein Raunen von Stimmen. Die Zuschauer strömten in den Saal. Ich blickte auf die Uhr. Noch fünfzehn Minuten. Naomi sah mich über ihre Schulter hinweg an. Ich nickte ihr zu.
»Fertig!«
Sie nahm die Duschhaube ab, schüttelte ihr Haar und befestigte es mit dem roten Band. Während ich mir in dem kleinen Lavabo die Hände wusch, wickelte sie ein sarongartiges rotes Baumwolltuch um ihre Hüften. Danach schlüpfte sie in ein weißes, rüschenbesetztes Tüllkleid, das mit ein paar Bändern im Rücken gehalten wurde. Erst danach zog Naomi den Kimono an, nachdem sie ihn ausgebreitet und ausgeschüttelt hatte.
Das Geräusch hörte sich kräftig und feierlich an, geheimnisvoll wie ein Flügelrauschen. Sie brachte die Falten in die richtige Lage und schlang eine breite Gürtelschärpe, Obi genannt, um ihre Taille. Dabei blickten mich ihre Augen unverwandt an.
Ihre Hände bewegten sich mühelos und sicher. Es war, als ob sich die Schärpe von selbst, wie eine tiefrote Flüssigkeit, um ihre Hüften legte. Nun warf sie die schweren Brokatärmel zu-rück, knotete mit einigen geschickten Griffen den Obi im Rük-ken fest. Sie brauchte nicht einmal in den Spiegel zu schauen.
»Der Obi ist nicht stilecht«, meinte sie. »Ich
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