Seidentanz
Wirklich komisch, nicht wahr?«
»In gewisser Weise. Und was verlangte er von dir?«
»Meine Kraft. Das verdammte Fossil verlangte meine Kraft für sich selbst! «
»Er muß gleichzeitig Mann und Frau sein. Ohne die andro-gyne Einheit kann er das Reich der Schatten nicht verlassen.
Das ist nur logisch.«
»Logisch?« murmelte ich. Daß er ausgerechnet dieses Wort benutzte, schien mir rätselhaft. Ein starkes Glücksgefühl durchströmte mich. Ich rieb meine Stirn an seinem Arm.
»Ich war sehr bestürzt, Kunio. Das… Gespräch kam mir so widersinnig vor! Ich redete mir ein, daß es Einbildung war.«
»Hat er noch etwas anderes gesagt?«
»Warte, laß mich nachdenken…«
Ich versuchte mich zu entsinnen. Ein Teil der Geschichte war erzählt. Was jetzt noch? Ach ja, das Allerwichtigste: das Ritual.
Die Erinnerung war einfach weg, verschwunden – wie war das möglich? Sie saß in einem tiefen Winkel meines Hirns, wo sie manchmal, wie der Schein einer Taschenlampe, unruhig flak-kerte. Das machte mich ganz wirr. Ich sprach davon, schnell und leise, um ihm ein Winziges von alldem mitzuteilen, was ich hätte sagen müssen und nicht sagen konnte. Doch er verstand mich.
»Daisuke Kumano ist Kannushi – Hohepriester . Er weiß über diese Dinge Bescheid. Ich glaube, daß er dir helfen kann.«
»Und wenn nicht?«
»Hast du Angst?« fragte er.
Ich rollte den Kopf hin und her, um die Halsmuskeln zu lok-kern.
»Eigentlich nicht. Es ist allerdings kein Vergnügen.«
Er lächelte.
»Wenn du Angst hättest, müßte ich mir Sorgen machen.«
»Angst hilft uns auf der Bühne nicht weiter«, entgegnete ich.
»Höchstens Lampenfieber, aber das vergeht, sobald die Musik einsetzt. Nein, Kunio. Angst habe ich nicht.«
»Dann ist ja alles gut.«
»Ist noch Kornbier da?« seufzte ich.
Er löste sich von mir, goß neues Bier ein und reichte mir das Glas. Ich leerte es in einem Zug. Er sah mich besorgt an.
»Besser?«
Ich drückte das Glas an meine heiße Stirn.
»Entschuldige, Kunio. Ich habe Kopfschmerzen.«
»Soll ich dir die Schultern massieren?«
Er glitt hinter mich, lockerte den Kragen meiner Yukata, legte die Schultern frei. Als er begann, meine Hals- und Rücken-muskeln durchzukneten, merkte ich sofort, wie gut das tat.
»Wunderbar!« seufzte ich. Seine Finger waren geübt, kräftig; sie lockerten jeden Muskel, versetzten mich in einen Zustand wohliger Schläfrigkeit. Allmählich verschwanden die Schmerzen, aber ich fühlte mich wie ausgelaugt. Ich rieb den Nacken an Kunios Brust.
»Ich habe mich da in eine vertrackte Situation gebracht, oder?«
Seine Finger hielten an, doch nur kurz, dann ein flinkes, gleichmäßiges Trommeln mit den Handballen, nicht zu leicht, nicht zu stark. Genau richtig. Jeder Muskelknoten wurde warm und geschmeidig. Er sagte ruhig:
»Für mich, mußt du wissen, ist diese Sache nicht außergewöhnlich.«
Ich spürte plötzlich eine Welle freudiger Erregung.
»Ach, hast du auch schon so etwas erlebt?«
»Ähnliches.«
»Erzählst du mir davon?«
»Ja. Aber heute nicht. Meine Geschichte würde dich ablen-ken, das wäre nicht gut. Du mußt dich jetzt entspannen.«
»Hilfst du mir dabei?«
Er kicherte leise. Seine Lippen berührten meine Schulter; seine Zähne glitten über meine Haut, eindringlich und immer wieder. Schauer, durch die Liebkosung ausgelöst, liefen über meinen Körper. Ich drückte den Hinterkopf an seine Brust.
Langsam schob er die Yukata über meine Arme; ein paar schnelle Bewegungen, und mein Oberkörper war nackt. Ich drehte mich, zog sein T-Shirt aus den Jeans, half ihm, es über den Kopf zu streifen; meine Finger tasteten zu seiner Gürtelschnalle. Ich knöpfte seine Jeans auf, schob sie über seine Hüften und Schenkel. Sein sehniger Körper, warm und glatt, schien mit dem meinen zu verschmelzen; seine Haut duftete nach Sauberkeit, nach frischer Baumwolle. Wir umarmten uns mit offenen Augen, phantasierenden Händen, einem Salzge-schmack im Mund, den Atem völlig im Gleichklang. Zusammengehörend. Das war es, was uns mit so viel Überraschung und Entzücken erfüllte – daß wir uns wiedererkannten, als hätten wir uns schon vor unserer Geburt geliebt, als nähmen wir nur einen Faden wieder auf. Sein Leben, diese Hülle aus Zärtlichkeit, schien sich aus ihm zu lösen, um mit mir zu leben; bei allen anderen Männern zuvor war ich allein geblieben. Im Grunde waren wir neugierig, auf eine unbefangene, leichtsinni-ge Art, wie Kinder es sein können,
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