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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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nichts von einer tatsächlichen Bewegung, es glich eher einem schwachen elektrischen Strom, der mich durchfuhr. Ich tat nichts dagegen. Der Kannushi sah mich genau an und nickte.
    »Der Ranryô-ô stammt aus China und ist eine mehr oder weniger historische Gestalt. Die Maske, obwohl neuerer Machart, hat ihr ursprüngliches Energiefeld – das Mana – unverändert bewahrt. Wie das geschieht, werden wir nie erklären können, da unser Gehirn nicht dazu geschaffen ist. Wie auch immer, gewisse Tänzer mögen die Maske unbehelligt tragen. Ihre Kraft reicht nicht aus, um die Kraft der Maske zu wecken. Ein ge-wöhnlicher Mensch hat diese Fähigkeit nicht. Nun aber gibt es Menschen, die für außergewöhnliche Dinge begabt sind. Eine flutende Gewalt treibt ihre Gedanken und Gefühle empor.
    Durch sie wird die Maske zum Sitz, zur Inkarnation des Totengeistes. Sie reißt die Spieler empor, setzt ihre Seele einem ge-fährlichen Schock aus. Was hier hilft, ist ein Oharai – ein Exorzismus. Die erforderliche Zeremonie wird im Engishiki –
    einem Zeremonialbuch aus dem neunten Jahrhundert – er-wähnt. Das Ritual beschwor den Gott Iwasaku, den ›Felsenzer-störer‹, dem gefährdeten Spieler seine Kraft zu schenken. Was abhanden kam, ist die Methode. Es tut mir leid, Ruth: Wir haben das Muster, die Wegkarte verloren. Wir wissen nicht mehr, wie es gemacht wird.«
    Ein wenig fröstelnd wandte ich den Kopf und sah Sagon an.
    Er drückte seine Zigarette aus, wobei er den Kopf schüttelte, als ob er sich Selbstvorwürfe machte. Draußen rauschte der Regen.
    Ich rieb mir die Stirn. Daisukes Erklärungen kamen mir wie die Objekte vor, die Dali schuf, um einen Zustand äußerster Unsicherheit hervorzurufen; weder konnte man sie halten noch hinstellen. Vielleicht kam diese Unruhe aus mir selbst, und das Ganze war nur ein verschrobener Zustand. Nach einer Weile brach Daisuke das Schweigen.
    »Sofern du die Technik beherrschst, wird der Tanz aktive Imagination. Dein Unterbewußtsein meditiert. Wie leicht Flöte und Trommel in Trance zu versetzen vermögen, brauche ich dir nicht zu sagen. Gehst du weiter auf diesem Pfad, ist eine Beschädigung möglich. Ich kann nicht für dich wählen, Ruth.«
    Ich lehnte mich zurück und holte tief Luft. Ich durfte jetzt nicht mein inneres Gleichmaß verlieren.
    »Nein, natürlich nicht. Es ist schon in Ordnung.«
    Ein Seufzer hob Daisukes Brust.
    »Ich weiß, was du denkst, Ruth. Und auch du kennst die Wahrheit, wenn du sie hörst. Ich erzähle ohnehin keine Lügen.
    Ich kann eine Beschwörung für dich ausüben, die dich schützt.
    Nicht aber das Ritual, dessen du bedarfst, um völlig gefeit zu sein. Es tut mir leid«, wiederholte er.
    Ich blickte erneut zu Sagon hin, und da mochte eine etwas stärkere Spannung auf seinem Gesicht sichtbar sein. Seine Augen flackerten, dann fanden sie wieder Halt und sahen mich an.
    »Wir können den Unterricht jederzeit abbrechen, Ruth. Und ich habe völliges Verständnis, wenn du nicht mehr willst.«
    Ich fühlte ein Schaudern, tief in der Gegend des Herzens. So standen also die Dinge. Ich durfte die Warnung beider Männer nicht in den Wind schlagen. Ich hatte das beklemmende Ge-fühl, daß ich negativen Kräften ausgesetzt sein würde, denen ich vielleicht nicht gewachsen war. Also gut. Tänzer holen sich ihre Inspiration überallher. Sie deuten ihre eigenen Bewegungen von innen, und manchmal geraten sie dabei in eine Sackgasse. Es steht ihnen dann frei, einfach aufzuhören und irgendwo anders neu anzufangen. Aber soll denn der Tanz niemals ein Risiko sein? Woraus bist du gemacht, Ruth Darling? würde Lea jetzt fragen (und anzüglich dabei kichern). Aus dem Fleisch junger Eidechsen?
    Eine Art nervöser Krampf durchlief mich.
    »Ich werde weitermachen«, sagte ich.
    Sagon zog die Stirn kraus. Seine dunklen Augen waren seltsam umwölkt.
    »Hast du es dir auch reiflich überlegt?«
    Welche Antwort sollte ich ihm geben?
    »Ich habe etwas begonnen, das ich zu Ende führen will. Und ich traue mir zu, daß ich es kann.«
    Daisuke hatte mich nicht aus den Augen gelassen. Er schien zu lächeln, doch nur in Gedanken, ohne das Gesicht zu verzie-hen. Nun erhob er sich; eine geschmeidige, fließende Bewegung. »Komm morgen um sieben zum Schrein. Ohne Früh-stück. Verrichte deine Notdurft, nimm ein Bad. Trage keinen Schmuck. Und auch kein Band, Gürtel oder Schnalle. Keine einzige Schnur darf an deinem Körper verknotet sein.«
    Ich empfand für einen Augenblick Unruhe; es

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