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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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der Gebirge, dem Atem des Meeres. Ich schloß halb die Augen, ließ mich von dem dumpfen Pochen, der rauhen Modulation dieser Stimme tragen.
    Bald vermeinte ich, daß meine eigene Haut wie das Trommelfell bebte, daß mein Blut schwer und heiß durch die Adern kreiste. Die Kohle, rot wie ein Herz, pochte und atmete; ein Rauchfaden wanderte höher, durch das Helldunkel, dem Spiegel entgegen. Ich versank in träge Schwere wie am Rande des Schlafs. Als die Kohlen fast verglüht waren, erstarb auch die tiefe Stimme des Priesters; er legte ehrfurchtsvoll die Trommel nieder und schüttete Wasser über die Glut. Ein dünner Rauch-schleier wehte empor, zischend schrumpften die letzten Flämmchen zusammen. Nun erhob sich Daisuke, trat vor den Altar und wiederholte dreimal eine Abfolge von Verneigungen.
    Das Senken des Kopfes, das Nachgeben der Schultern, das Niedersinken auf die Fersen, die Verbeugung schließlich, alles war von sakramentaler Langsamkeit und vollendeter Eleganz.
    Er rührte sich wie ein Tänzer, in Verzückung und doch ganz da, konzentriert und jenseits aller Konzentration. Er bewegte sich nicht, er wurde bewegt. Jetzt stand er wieder auf den Füßen; in dem gleichen, wundervollen Bewegungsablauf ergriff er die Rute aus Weißholz. Viermal schwang er die Rute über meinem Kopf, immer aus einer anderen Richtung, und sprach ein Gebet dazu. Seine tiefe Stimme wehte wie ein schwerer Brummton über mich hinweg. Ich kniete, den Kopf auf die Brust gesenkt, die Hände im Schoß verschränkt, vollkommen still. Ich vernahm das leise Rascheln der Papierstreifen, spürte ihren Luftzug in meinem Haar. Dann stellte Daisuke die Rute zurück an ihren Platz, verneigte sich vor dem Shintai. Er ging abermals in die Knie, nahm das Tischchen mit den heiligen Gegenständen und trug es in einen Raum hinter dem Altar. Das Ritual war beendet, doch ich blieb ruhig sitzen, bis Daisuke wieder zum Vorschein kam. Diesmal ging er in seiner gewohnten Art, schnell und energisch, so daß der Holzboden dröhnte. Er nickte mir kurz zu.
    »Wir sehen uns in meinem Büro.«
    Ich verneigte mich stumm, erhob mich. Als ich den Honden verließ, sah ich, wie der Priester die Kerzen löschte; er blies die kleine Flamme nicht aus, sondern erstickte sie mit einer raschen Fingerbewegung. Ich schlüpfte in meine eiskalten Turnschuhe, stieg die Stufen hinunter und stapfte über den Platz. Besucher waren noch nicht da. Nur ein alter Gärtner bewegte sich unter den Bäumen. Er trug die Pluderhosen der japanischen Arbeiter und eine Schirmmütze, fegte lose Blätter auf eine Schippe und schüttete sie in einen Plastiksack. Er grüßte mit tiefer Kopfneigung, und ich grüßte zurück. Der Nebel, mit der Sonne vermischt, machte mich ganz benommen. Auf der anderen Seite fühlte ich mich seltsam beschwingt, in Hochstimmung. Ich ging auf das Verwaltungshaus zu. Als ich am Eingang aus meinen Schuhen stieg, erschien der junge Priester und verneigte sich tief, wobei er kräftig rot wurde. Mit gesenkten Augen vor mir hergehend, führte er mich in Daisukes Büro. Ein paar Minuten später kam er mit einer Schale grünem Tee, den ich mit Behagen schlürfte. Es war das erste warme Getränk, das ich an diesem Morgen zu mir nahm. Ich hatte kaum die Schale geleert, als ich im Gang schnelle Schritte hörte. Die Schiebetür wurde schwungvoll aufgestoßen, und Daisuke erschien, wieder ganz der alte, mit einem amüsierten Schmunzeln in den Mundwinkeln. Er hatte sich umgezogen, trug den üblichen Hosenrock aus gestärkter Baumwolle. Sein schwarzes Haar war gekämmt und glänzte fast bläulich. Er bedeutete mir, sitzen zu bleiben, und ließ sich mir gegenüber in den Sessel fallen.
    »Kaffee?« fragte er aufgeräumt. »Und wie wär’s mit etwas zu essen?«
    Ich lehnte mich zurück, erlöst lachend.
    »O ja, Frühstück wäre gut.«
    Er nahm eine Zigarette, bat mich durch einen fragenden Blick um Erlaubnis und steckte sie an. Zufrieden lehnte er sich zurück, stieß den Rauch durch die Nase.
    »Nun, wie fühlst du dich?«
    Ich erwiderte sein Lächeln.
    »Gut, nehme ich an. Sehr gut sogar. Euphorisch wäre wohl der richtige Ausdruck.«
    Er nickte.
    »Der Rauch, den du eingeatmet hast, mag diese Wirkung hervorrufen. Kirschbaumrinde. Wir verwenden sie seit altersher für den Schreindienst. «
    Die Tür ging auf; herein kam eine junge Priesterin mit einem großen Tablett. Darauf standen Tassen und Teller, eine Kaffee-kanne aus schönem Porzellan. Eine Anzahl dünner Weißbrot-schnitten,

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