Seifenblasen kuesst man nicht
entgegen, schrie geradezu empört.
»Rumer auf Intensivstation. Mechaniker betrunken.« Sie sah hoch zu René. Der wich ihrem Blick aus. Sie nahm die nächste Zeitung. »Formel-1-Crash: Fahrfehler oder menschliches Versagen?«
»Das ist ja furchtbar â¦Â«, murmelte sie. René presste die Lippen zusammen. Es tat ihr weh, ihn so zu sehen. Die alten Wunden, sie waren nicht verheilt. Im Gegenteil.
»Rumer für immer gelähmt! Mechaniker Schuld am Crash?«
Sie schob die Zeitungen zurück. Niemand rührte sich. Es war, als ob die Zeit für einen kurzen Moment den Atem angehalten hätte.
SchlieÃlich holte René tief Luft. »Ich war in Untersuchungshaft. Es gab einen Prozess. Ich wurde freigesprochen. Aber Rumer gibt mir bis heute die Schuld.«
»Was ist passiert?«
»Ich will mich nicht rausreden und auch nichts entschuldigen. Aber diese Rennzeiten sind mörderisch. Du arbeitest rund um die Uhr. Manchmal kriegst du nur eine Stunde Schlaf. Ich war nicht betrunken. Ich hatte ein Bier intus und das wurde eben nach ein paar Stunden im Blutwert noch festgestellt. Ich habe das Zeichen nicht gegeben.«
»Welches Zeichen?«
»Das Zeichen für den Lollipop-Mann.«
Coralie überflog die Artikel. Von einem Lollipop-Mann war nirgendwo die Rede. Alle hatten sich auf den Mechaniker René M. gestürzt. Sie sah ein Foto ihres Vaters: Jung war er, mit wilden halblangen Locken und einem dicken schwarzen Balken vorm Gesicht.
»Wir hatten die Positionen getauscht, weil einer unserer Mechaniker ausgefallen war. Das wusste Rumer nicht. Er sah, wie einer das Zeichen gab â an der Position, die ich normalerweise hatte. Zu früh, und das führte zu dem Unfall.«
»Warum konntest du denn deine Unschuld nicht beweisen?«
»Weil es keiner mehr gewesen sein wollte. Niemand hat gesagt: Ich warâs. Bei einem Boxenstopp richtest du alle Aufmerksamkeit für ein paar Sekunden auf die Handgriffe, die wichtig sind. Da schaust du dich nicht um und registrierst, wer wo steht. Hinterher wollte es keiner gewesen sein und Rumers Aussage blieb hängen. Er glaubte, mich vorne gesehen zu haben. Ich war aber hinten. Doch plötzlich konnte sich keiner mehr daran erinnern. So ist das mit der Freundschaft und der Kameradschaft im Big Business. Sie hatten mich ausgedeutet und ich hatte 0,1 Promille im Blut.«
»Das heiÃt, der wahre Schuldige läuft immer noch frei rum?«
»Der wahre Schuldige ist Rumer selbst. Um eine Zehntelsekunde zu sparen, hat er nicht auf das Signal des Lollipop-Mannes gewartet. Er ist gleich losgefahren. Aber das wurde natürlich unter den Teppich gekehrt von ihm.«
René trank den letzten Schluck und stellte die Flasche etwas lauter ab, als es nötig gewesen wäre. Die Sprechstunde war beendet.
Für ihn, aber nicht für Coralie. »Habt ihr je darüber gesprochen?«
»Nein. Sein Leben war zerstört. Was hätte es genutzt? Ich hätte so oder so nie wieder in der Formel 1 arbeiten können. Die Leute haben mit Fingern auf uns gezeigt. Die Presse war auÃer Rand und Band. Daran hatte Rumer keine Schuld.«
»Aber er hätte doch alles richtigstellen können!«
»Hat er aber nicht. Was willst du jemandem sagen, der für sein Unglück einen Sündenbock braucht, damit es für ihn erträglich wird?«
»Er hat auch dein Leben zerstört.«
René sah sie an. Und mit einem Mal spielte ein kleines, fast zärtliches Lächeln um seine Lippen. »Nein. Das ist ihm nicht gelungen. Denn ich hatte eine Familie, die zu mir hielt. Auch in den härtesten Zeiten. Als unser Haus zwangsversteigert wurde. Als die Schulden uns fast den Hals abgedreht haben. Als wir wegziehen und ganz neu anfangen mussten â Marion war immer an meiner Seite. Ich weià nicht, womit ich diese wunderbare Frau, deine Mutter, verdient habe.«
Coralie schluckte. So vieles wurde ihr jetzt erst klar.
»Und dich, Coralie. Wie viel Mut und Stärke wir dir abverlangt haben, alles hinter dir zu lassen und noch mal ganz neu anzufangen. Ein Kind warst du, gerade mal in die Schule gekommen. Du hattest erste Freundschaften geknüpft. Und dann â Hals über Kopf weg. Denkst du, wir haben nicht bemerkt, wie schwer es dir gefallen ist? Wie oft du nachts geweint hast? Wie lange es gedauert hat, bis du wieder Anschluss gefunden hast? Und glaubst du nicht, es war bitter für uns, dir noch
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