Sein anderes Gesicht
bringt ihn zum Lachen, außer wenn es um sein Essen oder sein Geld geht. Er kramt in seiner Tasche, zieht den Schlüssel hervor, schwenkt ihn vor meiner Nase hin und her und zieht ihn weg, sobald ich nach ihm greife. Schließlich lässt er ihn in den Rinnstein fallen. Ich bücke mich, um ihn aufzuheben, er schubst mich, und ich falle hin. Brüllendes Gelächter.
Ich umklammere den Schlüssel, stehe auf und schlage ihm meine Faust mitten ins Gesicht. Mit dem Schlüssel in der Hand tut das weh.
Sein Gelächter erstirbt, Blut strömt aus der aufgeplatzten Lippe. Er brüllt: »Verdammte Scheiße! Ich bringe dich um!« Doch ich bin schon auf der Treppe. Ich bin doppelt so schnell wie er und verriegele bereits die Tür hinter mir, als er noch im zweiten Stock ist.
Heftige Schläge gegen die Tür. Eine Flut von Flüchen, deren Vielfalt bei diesem Zurückgebliebenen fast verwundert. Der alte N'Guyen brüllt, er werde die Polizei holen.
Ich presse den Mund gegen die Tür und säusele:
»Johnny wird es nicht recht sein, wenn die Bullen kommen … Du solltest lieber den Mund halten.«
Bull beruhigt sich. Er schnaubt wie ein wütender Stier.
»Ich kriege dich, Bo, das schwöre ich dir!«, ruft er in rachsüchtigem Ton.
Ich bin bei Johnny. Ich tänzele durch das Zimmer und mache Luftsprünge, werfe mich auf die Matratze und rieche an den zerknüllten Laken, an dem fettigen Kopfkissen, ich wälze mich auf den schmutzigen Klamotten, die sich in einer Ecke des Betts türmen. Ich presse den Unterleib gegen eine zusammengerollte Jeans, die Lippen drücke ich auf ein Hemd, das nach Schweiß stinkt. Ich wickele mich in das Laken. Ich bin bei Johnny!
Den Kopf in das Kissen vergraben, atme ich den Geruch seines Haars ein.
Ich lasse meine Lippen über den Bezug gleiten, rolle mich von einer Seite auf die andere - es ist wie Ferien.
Dann erhebe ich mich und wühle überall herum. Die kleine Küche ist schmutzig, im Spülbecken wimmelt es von Schaben. Fettige Teller, mit Lippenstift beschmierte Gläser, Ravioli in der Dose, Pulverkaffee. Weder Zucker noch Milch. Ich öffne den Kühlschrank: Cola, verdorbene Eier, eine angebrochene Tafel Schokolade. Der Kadaver einer unvorsichtigen Küchenschabe. Der Gegensatz zwischen der schmutzigen Wohnung und Johnnys Sauberkeit ist erstaunlich. Keiner käme auf die Idee, dass er in einem solchen Saustall haust.
Die Dusche hingegen ist blitzblank. Bis in den letzten Winkel gescheuert. Kein einziges Haar. Cremes, Gels, flauschige Handtücher. Ein Arzneischrank voller Beruhigungsmittel. Pflaster, ein Beutel mit Zahnpflegeutensilien. After Shave, Rasierklingen, Rasierschaum, Nagelscheren.
Ich lasse das warme Wasser über meinen Kopf rinnen. Lange. Es spült den Dreck, den Schweiß, die Ausdünstungen fort. Ich strecke mein Gesicht dem Brausekopf entgegen. Lauwarmes Prickeln auf meinen Wangen, meiner Stirn. Ich stelle mir vor, Johnnys Finger würden mich berühren. Sie gleiten an meinem Leib hinab. Noch weiter nach unten. Sie umklammern mich so fest, dass ich schreie.
Ich trockne mich mit einem dicken, beigefarbenen Handtuch ab. Dann lege ich mich hin und ziehe mir das schmutzige Laken über den Kopf. Ich bin glücklich, ich bin geschützt, ich kann schlafen.
KAPITEL 3
Jemand schlägt mit einem Stock gegen die Wand. Jemand klopft … Ich fahre aus dem Schlaf hoch. Wie spät ist es? Nein, da klopft niemand, jemand kommt die Treppe herauf - mit schnellen Schritten. O mein Gott, Johnny! Er wird wütend sein. Schnell, in den Schrank! Ich springe aus dem Bett und laufe zum Schrank. Wenn er schläft, werde ich verschwinden. Ich höre den Schlüssel im Schloss. Mein Herz schlägt wie wild. Die Tür öffnet und schließt sich wieder. Er ist da, ganz nah. Ich halte den Atem an.
Durch einen Spalt in den Schranktüren sehe ich ihn. Er macht kein Licht, bewegt sich leise wie ein Dieb in dem von Mondlicht erfüllten Zimmer. Er sieht müde aus.
Er geht in die Küche und verschwindet aus meinem Gesichtskreis. Wasserrauschen und das Geräusch von Plastikflaschen. Dann kommt er mit nacktem Oberkörper zurück, ich sehe die kräftigen Muskeln, die sich unter der weißen Haut abzeichnen. Das Spiel der Bauchmuskulatur. Er zieht sich aus, wirft die Jeans auf den Boden. Streift den Slip ab.
Im Gegensatz zu vielen anderen Männern macht ihn die Nacktheit nicht verletzlich. Er geht durchs Zimmer, sinkt plötzlich auf die Knie. Mit zurückgeworfenem Kopf verweilt er reglos, als böte er sich dem opalisierenden
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