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Sein anderes Gesicht

Sein anderes Gesicht

Titel: Sein anderes Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Aubert
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gelegt. Ich war etwa dreizehn Jahre alt.
    Die Augen sind von tiefen Schatten gezeichnet, ich lächele nicht. Ich trage marineblaue Bermudashorts, ein weites, weißes Baumwollhemd und weiße Turnschuhe. Mein Haar ist im Nacken zusammengebunden, die Augen sind mit Kajal betont. Kurz bevor das Foto aufgenommen wurde, hat er sich an mir vergangen, dort in seinem Arbeitszimmer. Er wusste, dass der Fotograf vom Figaro kommen würde, und das erregte ihn.
    Der gute Vater. Letztlich hat seine pädophile Veranlagung ihm, dem Chefarzt der Kinderstation des städtischen Krankenhauses, doch das Genick gebrochen … Vergewaltigung und Mord, der in extremis in »fahrlässige Tötung« umgewandelt wurde. Ein mit Äther getränkter Wattebausch, den er auf Nase und Mund eines sechsjährigen Jungen gedrückt hatte, um ihn zum Schweigen zu bringen. Das Kind war erstickt. Sechzehn Jahre Zuchthaus. Allgemeine Schmach. Sein Name in der örtlichen Tagespresse. Gespielte Überraschung der Familie. Wahrer Abscheu im Bekanntenkreis. Zusammenbruch eines sorgfältig inszenierten Doppellebens.
    Und ich wurde der Justiz zum Fraß vorgeworfen, damit sie ihren Wahrheitsdurst stillen konnte. Wieder einmal wurde ich zerrissen, zur Schau gestellt, durchwühlt.
    Ich habe gegen ihn ausgesagt. Ich habe gesagt, er sei ein Schwein. Ein Gutachter hat die Qualen aufgezählt, die ich in meiner Kindheit zu erdulden hatte. Unter den Geschworenen begann eine Frau zu weinen. Ich hörte nicht hin. Ich sah ihn an, zusammengesunken und gebeugt auf seinem Stuhl. Grau meliertes Haar. Der Mund mit den tadellosen Zähnen. Seine Lippen. Dann merkte ich, wie ich die Fäuste ballte, als wollte ich sie gegen seine Porzellankronen schlagen. Aber so einfach ist das nicht: Ich habe ihn geliebt. Ich liebte seine Zärtlichkeiten. Ich hatte gelernt, das Leiden zu lieben. Ich konnte nicht einfach diesen Kerl aus meinem Leben streichen, der jetzt meinem Blick auswich. Ich war Fleisch von seinem Fleisch.
    »Das ist alles nur Verleumdung!«, schreit Großmutter plötzlich und richtet sich mit hochroten Wangen in ihrem Bett auf.
    Kurz nachdem die Sache ans Licht kam, verlor sie den Verstand. Das Kommen und Gehen der Polizei, das Büro des Untersuchungsrichters, ich wurde in einem Sado-Maso-Bordell gefunden, die sensationslüsterne Presse . Sie hat sich den Dingen gestellt und ihren Sohn mit Händen und Füßen verteidigt, doch sobald das Urteil gesprochen war, hat sich Violette empfohlen und allen Angriffen entzogen. Es gab keine Aussöhnung mit der Familie. Kein Verzeihen.
    Wieder öffnet sich die Tür, und die Krankenschwester kommt mit einer Bettpfanne herein. Ich erhebe mich und küsse Großmutter auf die Stirn, sie schüttelt sich angewidert. Ich verabschiede mich von der Krankenschwester und stehe auf dem Gang mit den vielen Rollstühlen.
    Der Besuch hat mich demoralisiert. Ich beschließe, Maeva-die-Tahitianerin zu besuchen. Mit ihren einhundertzwanzig Kilo und dem Profil eines Sumo-Ringers ist Maeva als Frau nicht sonderlich glaubwürdig, aber es macht sie so glücklich, Blumenkleider in Größe achtundfünfzig zu tragen und auf hohen Absätzen Kaffee und Kuchen zu servieren, dass ihre gute Laune ansteckend wirkt. Vor allem die Typen vom Hoch- und Tiefbau stehen auf sie. Sie hat einen leichten Akzent und plappert pausenlos, dadurch erinnert sie vermutlich an eine Puppe von den polynesischen Inseln. Außerdem gibt es bei ihr keine Drogen. Ihr Appartement ist eine wahre Werbung für Kitsch: Spitzenvorhänge mit Katzenmotiven, handgestickte Deckchen, Spieluhren aus Perlmutt, die verschiedensten kulinarischen Spezialitäten, frischer, selbst gebackener Kuchen … Fehlt nur noch, dass sie die Freier in Pantoffeln steckt, ehe sie es mit ihnen treibt …
    Die Abdeckung des Türspions hebt sich, und ein zartes Stimmchen ruft mir zu:
    »Wenn Sie von den Zeugen Jehova kommen, können Sie gleich wieder gehen.«
    »Ich bin es, Bo!«
    Sie öffnet die Tür und schließt mich in ihre runden Atme.
    »Bo! Wie hübsch du bist! Komm herein, mein Liebes! Eine wahre Prinzessin! Willst du einen Kaffee? Er ist noch heiß!«
    »Gerne, das ist lieb.«
    Ich nehme in einem per Warenhauskatalog bestellten Ohrensessel Platz. Maeva macht sich in der Küche zu schaffen und kommt mit einem voll beladenen Tablett zurück. Ich sehe unser Spiegelbild in der Mattscheibe des ausgeschalteten Fernsehers: Zwei als Frauen verkleidete Typen - ein jüngerer und ein etwas älterer - spielen mit voller Überzeugung ihre

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