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Sein anderes Gesicht

Sein anderes Gesicht

Titel: Sein anderes Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Aubert
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es keine Freier geben.«
    Es ist unglaublich, wie wichtig für uns Prostituierte der Wetterbericht ist. Wir sind unschlagbar, wenn es um Hochdruckgebiet, Tiefdruckgebiet und Isometer geht. Und tatsächlich scheint Dauerregen aufzuziehen. In der Ferne über dem Meer zucken Blitze. Maeva zündet eine Lampe an, die zum Büfett und dem Ohrensessel passt. Gedämpftes Licht, Regenböen, herb-milder Kaffeeduft: eine warme und tröstliche Atmosphäre, die mich schläfrig macht.
    »Entschuldige, aber es ist Zeit für meine Vorabendserie.«
    Ich blinzele gegen die Müdigkeit an und gähne verstohlen hinter vorgehaltener Hand. Sie schaltet den Fernseher ein. Sirenengeheul. Ein Polizeiwagen rast mit Blaulicht einen amerikanischen Strand entlang: ein großer, sauberer Strand mit blonden Bikinimädchen, Bademeistern, die aussehen wie Bodybuilder, und Surfern, die mit weit geöffnetem Mund in die Kamera schauen. Maeva fasst schnell die vorhergehende Folge für mich zusammen: Cynthia hat erfahren, dass Matt den Abend mit Sue verbracht hat.
    Als ich mich verabschiede, sagt Cynthia gerade zu Sue, sie sei ein gemeines Luder.

KAPITEL 6
    Nacht, Regen, Kälte. Ich gehe zu Fuß zu Linda zurück. Als ich am Kriegerdenkmal vorbeigehe, bleibe ich stehen, um ein Fünf-Franc-Stück hineinzuwerfen. Das Ehrenmal ist ein Brunnen in der Nähe des Karmeliter-Klosters. Das Wasser sprudelt aus dem marmornen Januskopf. Eines Tages habe ich Stephanie die Januslegende erklärt, seitdem ist der Brunnen für uns die geheime Gedenkstätte für diejenigen unter unseren Bekannten, die die Krankheit nicht überlebt haben und dem doppelten Gesicht der Liebe zum Opfer fielen. Das Lächeln der Lust und die Fratze des Todes.
    Im Vorbeigehen werfen wir immer ein Geldstück hinein, um das Schicksal zu beschwören, aber eigentlich habe ich keine Angst. Seit ich anfing, »meinen Körper zu verkaufen« - das war 1985/86 -, habe ich aufgepasst. Schon zu viele waren erkrankt.
    Schließlich komme ich durchnässt und halb erfroren bei Linda an. Ich gehe nach oben, ziehe mich aus, schminke mich ab und lege Unisex-Kleidung an. Johnnys Stunde naht, das spüre ich am ganzen Körper. Er vibriert. Der Schmerz in meinem Arm ist unerträglich. Ich schlucke eine der Schmerztabletten, die ich im Krankenhaus bekommen habe.
    Linda rät mir, vorsichtig zu sein. Ich werfe ihr einen Handkuss zu. Platsch, platsch, meine Schuhe quatschen in den Pfützen. Um Bull milde zu stimmen, kaufe ich eine Schachtel Zigaretten. Die Friedenspfeife. Als ich Johnnys Haus erreicht habe, bleibe ich in dem Häuschen an der  Bushaltestelle stehen. Zwei Alte, die sich unterhalten, treten zur Seite, als sei ich aussätzig. Nach zehn Minuten steckt Bull seine Nase aus dem Haus. Er verschwindet in der Pizzeria. Dann kommt auch Johnny heraus und folgt ihm. Gut, sie gehen also zum Essen. Ich warte noch zehn Minuten und betrete ebenfalls die Pizzeria. Reynaldo, der Wirt, mag mich nicht. Er mag keine Schwarzen, keine Schwulen und keine Seehundbabys. An der Wand hängen seine Jagdtrophäen: Damwild, Hirsche, Wildschweine -alle mottenzerfressen und mit gelblichem Gebiss.
    Er steht hinter der Theke und schenkt seinen Kumpanen Pastis ein: alles rote Säufernasen mit großer Klappe. An einem Tisch in der hinteren Ecke kaut Bull ein Stück Brot. Johnny hat sich ein Glas Rotwein eingeschenkt. Nachdenklich schwenkt er den Wein in seinem Glas. Youssef, der Pizzabäcker, sieht mich verächtlich an. Er teilt die Meinung seines Chefs, nach außen hin zumindest. Aber ich weiß, dass er es war, der mit grüner Leuchtfarbe »Motherfucker« auf Reynaldos BMW gesprüht hat.
    Ich bleibe hinter Bull stehen. Sein rosiger, fetter Nacken bildet Wülste. Gern würde ich eine lange Haarnadel hineinstoßen. Johnny sieht mich schweigend an. Er seufzt. Ich verkünde:
    »Heute Nacht gab es wieder einen Mord. Ein Transvestit. Sie haben ihm den Bauch aufgeschlitzt.«
    Noch ehe Johnny sagen kann, ihm sei das scheißegal, wendet sich Bull langsam um.
    »Du Dreckskerl«, brummt er. »Wie kannst du es wagen, hierher zu kommen?«
    »Bist du noch böse?«, frage ich affektiert.
    Ich reiche ihm die Schachtel Zigaretten. Er zeigt mir seine verletzte Lippe.
    »Du hast mein Blut vergossen! Du hast mein Blut  vergossen und wagst es, dich an meinen Tisch zu setzen!«
    Welch ein Sinn fürs Melodramatische! Ein richtiger Drehbuchautor, unser Bull-Terrier.
    »Tut mir Leid, aber ich hatte eine bleierne Hand.«
    »Verflucht, du bist wirklich ein Dreckstück!

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