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Sein anderes Gesicht

Sein anderes Gesicht

Titel: Sein anderes Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Aubert
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und stellt das Wasser an. Überall, wo der Strahl mich trifft, habe ich das Gefühl, verbrüht und geschlagen zu werden. Ich rolle mich in der Wanne zusammen, ich spüre seine behandschuhten Hände, die mich einseifen. Das ist nicht Johnny, Johnny wollte mich niemals berühren! Liebt er, Klein, Männer? Habe ich womöglich eine Chance?
    Er duscht die Seife ab. Seine Handschuhe hören nicht auf, mich anzufassen. Er streift flüchtig meine Genitalien und drückt sie plötzlich so fest zusammen, dass ich vor Schmerz unwillkürlich stöhne. Er lächelt mich an, seine Zähne schimmern weiß hinter dem braunen Bart. Er verstärkt den Druck, zitternd knie ich in der Wanne, bin ihm, seiner kräftigen Hand, vollkommen ausgeliefert.
    »Sie sollten sich für die Umstände, die Sie uns machen, entschuldigen«, sagt er höflich.
    »Ich … ent-schuldige mich«, stammle ich.
    Er schnalzt zustimmend, lockert aber nicht seinen Griff.
    »Gut, ich will Ihnen nämlich nicht die Zunge einseifen müssen«, fährt er mit einem genießerischen Lächeln fort.
    Ich sehe eine herausgerissene Zunge, einen weit offenen Mund, ein gähnendes, blutendes Loch. Er lässt mich los, meine Hoden ziehen sich zusammen.
    Er holt mich aus der Badewanne, hüllt mich in einen weißen Frotteebademantel, setzt mich auf einen Hocker mit Volants, der vor einem Spiegel mit vielen kleinen Halogenscheinwerfern steht. Während ich jede seiner Bewegungen aufmerksam beobachte, sage ich mir, dass die Wohnung aussieht, als würde eine Frau hier leben. Hier ist nichts von Johnnys Grobheit zu spüren. Erlesene Stoffe, kostbarer Nippes, Stilmöbel. Wo sind die Pizzakartons voller Ungeziefer? Hier ist alles weiß. Ein Eispalast.
    Er greift mit seiner behandschuhten Hand nach einem schwarzen Gegenstand und klappt ihn auseinander, es ist ein Rasiermesser. Ich habe das Gefühl, meine Haut zieht sich zusammen. Er beugt sich über mich und rasiert mir sanft die linke Wange. Das Ausbleiben der Gewalt, die Angst vor dem Augenblick, wo sie ausbricht, das Warten . Das peinigt mich mehr.
    Er rasiert mich sorgfältig und ohne den kleinsten Kratzer. Dann legt er das Rasiermesser beiseite und öffnet einen Kosmetikkoffer, in dem sich verschiedene Produkte befinden.
    »Sie sollten sich etwas herrichten«, meint er zu mir. »Das wäre für alle angenehmer.«
    Als sei es meine Idee gewesen, in einen Kühlraum gesperrt zu werden! Zum ersten Mal steigt die Wut in mir hoch. Dieser Hampelmann mit zu viel Pomade im Haar ist nicht Johnny, sondern erinnert mich eher an einen Kammerdiener aus einer Operette.
    Ich greife mit der rechten Hand nach den kleinen, wohlriechenden Tiegeln, der Schminke, den seidenweichen Pinseln. Meine Hand zittert nicht mehr so stark, und als ich mich konzentriere, gelingt es mir, mich zurechtzumachen und zu schminken. Meine Augen, meinem Mund. Man könnte mich beinahe als hübsch bezeichnen. Nur diese riesigen violetten Schatten unter meinen Augen gelingt es mir nicht zu kaschieren.
    Klein legt seine Hände auf meine Schultern.
    »So ist es besser, viel besser. Folgen Sie mir.«
    Ich gehorche.
    »Gefällt es Ihnen?«
    Er deutet auf ein schwarz glänzendes, hautenges Kleid, das nachlässig über einem Stuhl hängt. Ich nicke zustimmend. Er ist mir beim Anziehen behilflich und zieht den Reißverschluss zu. Das Rascheln der Seide auf meiner fahlen Haut. Er reicht mir ein Paar strassbesetzte Sandaletten, tritt, die Augen kritisch zusammengekniffen, einen Schritt zurück, um mich zu begutachten. Dann zieht er aus seiner Tasche ein mit Samt bezogenes Etui hervor. Es enthält ein Collier aus Rubinen, falsche, nehme ich an. Er legt es mir um, seine Finger nesteln am Verschluss. Ich kann mich im Spiegel an der Tür betrachten.
    Nun bin ich kein verängstigtes und ausgemergeltes Tier mehr, das man im Rinnstein aufgelesen hat, sondern eine prächtig ausstaffierte Zirkusattraktion. Eine Scarlett O'Hara, bereit, der Nordstaaten-Armee die Stirn zu bieten. Ich recke das Kinn vor und sehe ihm direkt in die Augen. Er wirkt zufrieden.
    »Gut. Wirklich. Sie werden die Königin meines Abends sein!«
    Seine Worte hallen unheilvoll durch das Zimmer. Er legt eine CD ein. I Pagliaci von Leoncavallo, gesungen von Caruso. Caruso starb mit 48 Jahren, Mozart mit 36, Bo-die-Hure empfiehlt sich möglicherweise mit 28. »Ride,  Pagliacio …« Die Stimme erhebt sich, und ihr Klang breitet sich im Zimmer aus. Fast möchte ich Johnny sagen: Warte noch ein bisschen und hör zu, doch er löst den

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