Sein Blut soll fließen: Thriller (German Edition)
die Birne in der Lampe am Kopfende des Betts war hinüber, aber er schraubte sie heraus und ersetzte sie durch eine funktionierende Birne aus der Deckenlampe. Er ging wieder nach draußen, schloss sein Zimmer hinter sich ab und machte einen Erkundungsgang. Am Ende des Gebäudes gab es einen kleinen, gut beleuchteten Raum. Er hatte weder Fenster noch Türen. Auf dem nackten Zementfußboden standen summende Automaten, einer mit kalten Getränken, einer mit Knabberzeug, und der Letzte war ein Eisspender. Als er den Deckel hob, war kein Eis da, nur eine kleine Metallschaufel an einer Kette. Er kramte in seiner Tasche nach Vierteldollarmünzen, ging dann zurück zum Dart und fand darin noch ein paar. Genug für eine Dose Cola, einen Schokoriegel und eine Tüte Kartoffelchips. Wieder in seinem Zimmer, setzte er sich auf die durchgelegene Matratze. Auf dem Tisch neben dem Fernseher stand eine hässliche Lampe, also stellte er sie woanders hin, wo er sie nicht sah. Dann schaltete er den Fernseher ein und starrte eine Zeitlang darauf, während er aß und trank und nachdachte.
Als er aufwachte, lief irgendein Vormittagsprogramm, und ein Zimmermädchen schob gerade einen klappernden Putzwagen an seiner Tür vorbei. Seine Uhr verriet ihm, dass es zehn war. Er hatte fast sechs Stunden geschlafen. Er drehte sich eine lauwarme Dusche auf und zog sich aus. Er stand lange unter der Dusche, ließ sich das Wasser auf den Rücken prasseln, während er sich die Brust einseifte. Er war über seinen Gedanken eingeschlafen und dachte jetzt wieder nach. Wie sehr wollte er Kosigin dranhaben? Wollte er ihn überhaupt dranhaben? Vielleicht hatte Dulwater ja Recht: Die angemessenste Folter für Kosigin bestand darin, jemand anderem – in diesem Fall Allerdyce – Macht über ihn zu geben. Es war ein richtiges und gerechtes Schicksal, etwas, das sich Dante für einen der Kreise seiner Hölle hätte ausgedacht haben können.
Andererseits war ihm Allerdyce nicht nennenswert sympathischer als Kosigin. Reeve wünschte, er hätte eine Lösung finden können, durch die sich die ganze Bagage erledigen ließe. Aber so bequem war das Leben leider nicht eingerichtet...
Das Auschecken wenigstens war es: Dazu brauchte er lediglich seine Schlüsselkarte in einen Kasten zu werfen. Er hatte sich fast acht Stunden in dem Hotel aufgehalten und während der ganzen Zeit keine Menschenseele gesehen, und die einzige, die er gehört hatte, war das Zimmermädchen gewesen. Etwas Besseres hätte er sich wirklich nicht wünschen können.
Mittlerweile stellte McCluskey vermutlich jedes Hotelzimmer in der Stadt auf den Kopf. Er würde versuchen, die Identität von Reeves Auto zu ermitteln, aber Dulwater würde ihm nicht helfen können – und auch sonst niemand. Wenn er im Marriott die von Reeve gemachten Angaben überprüfte, würde er feststellen, dass er ein falsches Kennzeichen zu einem ebenso erfundenen Pontiac Sunfire eingetragen hatte. Reeve fuhr an einen Strand und parkte den Dart. Er zog Schuhe und Strümpfe aus und ging über den Sand bis ans Wasser. Er schlenderte eine Zeitlang den Strand entlang, dann fing er an zu joggen. Er war nicht allein: Es waren ein paar weitere Männer da, zumeist älter als er, und alle joggten sie am Wassersaum entlang. Doch niemand lief so weit wie Reeve. Er lief, bis er schweißgebadet war, dann zog er sein Hemd aus und lief noch ein Stück weiter.
Schließlich ließ er sich rücklings in den Sand fallen und lag so da, den treibenden Himmel über sich, in den Ohren das Donnern der Brandung. Himmel und Meer waren vergiftet. Sein Körper war vergiftet. So viel zum Thema Übermensch. So viel zum Thema gegenseitige Hilfe. Reeve verbrachte den Rest dieses Sonntags auf dem Strand – döste, ging wieder ein Stück, dachte nach. Er ließ McCluskey und Dulwater schwitzen. Er vermutete, dass sie nicht zu Kosigin gehen würden, nicht sofort jedenfalls. Zuerst würden sie versuchen, Gordon Reeve ausfindig zu machen. McCluskey würde das jedenfalls versuchen. Was Dulwater anging, war sich Reeve nicht so sicher; er war der Unberechenbarere von beiden.
An dem Abend aß er in einem Diner an der Straße; als er Suppe, einen Salat und Orangensaft bestellte, traute die Kellnerin ihren Ohren nicht.
»Das ist alles, was Sie wollen, Schätzchen?«
»Das ist alles.«
Selbst dann noch fragte er sich, was es an Zusatzstoffen im Saft, an Chemikalien in der Brühe, an Rückständen im Salat so alles geben mochte. Er fragte sich, ob er jemals wieder
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