Sein Blut soll fließen: Thriller (German Edition)
weites Feld. Reeve schätzte, dass er eine ganze Menge körperliche Misshandlungen und sogar psychische Zermürbungstechniken aushalten konnte. Womit er mit Sicherheit nicht klarkommen würde – womit niemand klarkommen konnte -, waren die verschiedenen Formen chemischer Folter, die Drogen, die einem ins Hirn fickten.
Es war ein Wettkampf gegen die Uhr. Auf der Gedenk-Uhr des Regiments in Hereford standen die Namen aller SAS-Männer, die im Einsatz gestorben waren. Als Folge des Falklandkrieges waren eine ganze Menge neuer Namen für die Uhr vorgesehen. Reeve wollte nicht, dass seiner darunter wäre.
Als er sich wieder nach Jay umsah, starrte ihn dieser immer noch an. Reeve forderte ihn mit einer Kopfbewegung auf, wieder nach vorn zu schauen. Sie lagen nebeneinander, aber jeweils in die entgegengesetzte Richtung gewandt, so dass Jays Stiefel vielleicht zwei Fingerbreit von Reeves linkem Ohr lagen. Vor einer Weile hatte Jay mit den Fingern eine Morse-Botschaft auf Reeves Stiefelschaft geklopft – »Kill sie alle« -, und sie dreimal wiederholt. Kill sie alle.
Der Boden war kalt und feucht, und Reeve wusste, dass seine Körpertemperatur sank, so wie schon vergangene Nacht. Noch ein paar Nächte wie diese, und sie würden ein ernstes Problem haben, und das würde nicht so sehr der Feind sein als vielmehr ihr eigener unzuverlässiger Körper. In den letzten sechsunddreißig Stunden hatten sie lediglich Schokolade gegessen und Wasser getrunken, und das bisschen Schlaf, das sie gekriegt hatten, war kurz und unruhig gewesen.
Selbst bei der Planung ihres Fluchtweges und Nottreffs hatten sie kein Wort gesprochen, sondern, die Karte vor sich auf dem Boden, Schulter an Schulter nebeneinander gelegen. Reeve hatte ein paar mögliche Routen aufgezeigt – sollten sie sich während eines Feuergefechts gezwungen sehen, den Beobachtungsposten zu verlassen, bestand durchaus die Möglichkeit, dass sie getrennt wurden – und dann auf den Nottreffpunkt getippt. Jay hatte daraufhin mit seinem ungewaschenen Finger eine Linie vom Treff zur chilenischen Grenze gezogen, so dass klar war , welchen Weg er vom Nottreff aus einschlagen würde.
Reeve war sich da weniger sicher. Würden die Argentinier eher erwarten, dass sie sich zur Grenze oder zur Küste durchzuschlagen versuchten? Sie waren immer noch ein ganzes Stück näher an der Küste als an der Grenze, also war die Grenze vielleicht wirklich der beste Plan. Außerdem hätte es keinen Sinn gehabt, die Küste zu erreichen, wenn kein Schiff auf ihre Situation aufmerksam gemacht worden war. Mitten in einem Feuergefecht würden sie unmöglich diesen Funkspruch absetzen können, und sollten sie zum Rückzug gezwungen sein, würden sie möglichst viel Ballast abwerfen, also ihre Rucksäcke und höchstwahrscheinlich auch das Funkgerät zurücklassen. Reeve hatte in Gedanken schon eine Inventur seines Rucksacks vorgenommen und entschieden, dass er daraus lediglich ein paar weitere Rationen brauchen würde. Es waren gerade diese Überlegungen, die ihm verrieten, dass der Einsatz praktisch zu Ende war. Er würde später Gelegenheit haben, sich zu fragen, wo und warum er schiefgelaufen war – immer vorausgesetzt, er würde dann noch am Leben sein. Die Küste lag näher: Reeve war außerstande, diesen Gedanken aus seinem Kopf zu verbannen. Er hatte eine Notfunkbake dabei. Wenn es ihnen gelänge, ein Boot zu finden und aufs offene Meer zu fahren, könnten sie den Notsender einschalten und darum beten, dass jemand das Signal auffing. Das Problem war nur, dass dieser Jemand auch ebenso gut ein heimkehrendes argentinisches Flugzeug sein konnte.
Der Himmel wurde wieder pink und fing an zu zischen und zu knistern, als eine weitere Leuchtkugel ihren sanften, von einem Fallschirmchen gebremsten Abstieg begann. Reeve konnte rechts von sich in fünfhundert Metern Entfernung eine vierköpfige Patrouille sehen. Reeve und Jay lagen unter einem Tarnnetz und zusammengerafftem Laub, und die Patrouille würde schon ein ganzes Stück näher kommen müssen, um sie, selbst mit Unterstützung der Leuchtkugel, sehen zu können. Dann ertönte ein plötzlicher schriller Pfiff, wie aus der Trillerpfeife eines Schiedsrichters.
»Halbzeit«, flüsterte Jay. Er hatte den Schweigekodex übertreten, aber er hatte auch die Spannung gelöst. Reeve merkte plötzlich, dass er grinste, dass er ein Lachen unterdrückte, das sich aus seinen Eingeweiden emporzukämpfen versuchte. Und so wie die Füße neben seinem Gesicht
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