Sein Blut soll fließen: Thriller (German Edition)
haben. Als Reeve sie jetzt antippte, schwang sie nach innen auf. Er fragte sich, was die Beamten gedacht haben mochten, als sie in das Zimmer eingedrungen waren und die leeren Patronenhülsen und die als Geiseln fungierenden Schaufensterpuppen gesehen hatten. Im Flur kniete er sich vor die Fußleiste und leuchtete sie mit der Stablampe ab. Sie sah unberührt aus. Reeve löste sie von der Wand und steckte die Hand in den Hohlraum, berührte die ölgetränkten Lappen, fühlte das Metall, das sie verhüllten.
Und er lächelte.
Er wickelte die Beretta aus und suchte die Schachtel mit den passenden Patronen, mit denen er sich, nachdem er die Waffe geladen hatte, die Taschen füllte. Dann griff er wieder in den Hohlraum und holte eine Packung Plastiksprengstoff samt dem nötigen Zubehör heraus. Der Sprengstoff war noch ziemlich frisch; er benutzte ihn gelegentlich, um seine Wochenendkrieger mit einer kleinen Explosion auf Zack zu bringen. Reeve überprüfte, ob die Schachtel auch alles enthielt, was er brauchte: Zündkapseln, Draht und Drahtschere und die Krokodilklemmen, die er als Auslöser benutzte. Er packte alles in seine Tragetasche, drückte die Fußleiste wieder an die Wand und vergewisserte sich, dass er keine Fußabdrücke hinterlassen hatte.
Er überquerte langsam die Kies- und Schotterfläche des Hofes. Als er durch das Küchenfenster spähte, sah er nichts Verdächtiges. Er ging einmal um das Haus und schaute dabei durch sämtliche Fenster: immer noch nichts. Wie es im Obergeschoss aussah, konnte er natürlich nicht wissen. Es war nicht ganz auszuschließen, dass sich eine Wache in einem der Schlafzimmer hingelegt hatte. Die Vorhänge von Allans Zimmer waren zugezogen, aber vielleicht hatte er auch nur vergessen, sie an dem Morgen, als er und Joan das Haus verlassen hatten, zu öffnen.
Reeve schloss die Haustür auf und trat in den Flur. Er brauchte die Alarmanlage nicht auszuschalten: Die Polizei hatte das offenbar schon erledigt. Er fragte sich, wie lange sie geplärrt haben mochte, bis die Beamten es geschafft hatten, sie zum Schweigen zu bringen. Das spielte aber eigentlich keine große Rolle; der nächste Hof lag ohnehin außer Hörweite.
Er schaute zur Sicherheit noch einmal in alle Erdgeschosszimmer und ging dann zur Treppe. Die zweite Stufe von unten knarrte, also übersprang er sie, genauso wie er es vermied, auf die Mitte der dritten Stufe von oben zu treten. Aus Angst vor möglichen Geräuschen fasste er auch nicht ans Geländer. Auf dem oberen Absatz hielt er die Luft an und lauschte. Es war nicht das Geringste zu hören. Er blieb geschlagene drei Minuten dort stehen: Wenn ein Mensch schläft, erzeugt er gewöhnlich rund alle drei Minuten irgendein Geräusch. Reeve nahm an, dass ein Polizist zumindest einen gewissen Respekt vor fremdem Eigentum haben, eine etwaige Wache also wahrscheinlich im Gästezimmer schlafen würde. Er öffnete langsam die Tür und steckte die Pistole durch den Spalt. Die Vorhänge waren nicht zugezogen, und das Zimmer war von Mondlicht erfüllt. Das Bett war gemacht und mit Paradekissen und Zierpuppen dekoriert. Joans Werk. Sie hatte viel Zeit in die Ausstattung eines Zimmers investiert, in dem nie jemand schlief.
Er ging zum anderen Ende des Absatzes und öffnete die Tür zu Allans Schlafzimmer. Das Zimmer war ein einziges Chaos: Bettdecken auf dem Fußboden, ein Pyjama auf dem Fußende des Bettes, Comics buchstäblich überall; die Leuchtdiode des Computers glühte zitronengelb im Halbdunkel. Entweder hatte ihn Allan angelassen, oder die Polizei hatte ihn überprüft und dann vergessen, ihn wieder auszuschalten. Reeve verließ das Zimmer und schaute rasch in sein und Joans Schlafzimmer und sogar ins Bad.
Schließlich atmete er erleichtert auf.
Wieder unten, fand er im Kühlschrank Milch, aber sie war sauer geworden. Daneben stand eine ungeöffnete Tüte Orangensaft, und die schnitt er mit einer Schere auf und nahm dann ein paar tiefe Schlucke. Er fand außerdem noch eine ungeöffnete Packung Schinken, riss sie auf, holte sich zwei Scheiben heraus, rollte sie zusammen und steckte sie sich in den Mund. Dann ging er zurück ins Wohnzimmer, um eine Bestandsaufnahme zu machen. Die Polizisten hatten zum einen alles bestäubt. Wahrscheinlich wollten sie Fingerabdrücke für die Akte, die sie gerade über ihn anlegten. Dann sah es so aus, als hätten sie alles heraus- und nicht ganz an die richtige Stelle wieder zurückgeräumt. Wohl auf der Suche nach irgendwelchen
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