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Sein Blut soll fließen: Thriller (German Edition)

Sein Blut soll fließen: Thriller (German Edition)

Titel: Sein Blut soll fließen: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Rankin
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kostete ihn mehr Kraft als jede 36-stündige Verfolgungsjagd. Er hatte das Gefühl, noch nie eine so schwierige Aufgabe bewältigt zu haben. Sein Gesichtsfeld schien nach außen hin in Nebel zu verschwimmen. Er wusste, dass es an seiner Erschöpfung liegen musste. Wenn der Anruf bloß nicht an einem Sonntagabend gekommen wäre, nach einem Wochenende, das seine Reserven erschöpft hatte, wo er doch ohnehin schon unter Schlafmangel litt.
    Er rief sich ins Gedächtnis, warum er hier war. Vielleicht war es Stolz, was ihn auf den Beinen hielt, bis er den Anmeldebogen ausgefüllt und seinen Schlüssel entgegengenommen hatte. Er musste eine Minute auf den Lift warten, fuhr dann in den zehnten Stock hinauf, fand sein Zimmer, schloss auf, ging hinein, ließ seine Tasche auf den Boden fallen. Er zog die Vorhänge auf. Er hatte Aussicht auf eine Hügelkette und den Hotelparkplatz. Er hatte sich für dieses Hotel entschieden, weil es im Norden San Diegos lag, nah an La Jolla. Jim war in La Jolla aufgefunden worden.
    Er legte sich aufs Bett, das sich gleichzeitig fest und wie ein schaukelndes Boot anfühlte. Er machte die Augen zu, nur für eine Minute.
    Und wachte in der Spätnachmittagssonne und mit Kopfschmerzen auf.
    Er duschte rasch, zog sich saubere Sachen an und ging zum Telefon.
    Der Detective war äußerst rücksichtsvoll. »Wenn Sie möchten, kann ich zum Hotel kommen, oder Sie kommen hierher, ganz wie Sie möchten.«
    »Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie herkämen.«
    »Klar, kein Problem.«
    Er fuhr wieder hinunter ins Erdgeschoss und trank im Restaurant einen Kaffee; dann merkte er, dass er Hunger hatte, aß also ein Sandwich. Es war zwar offiziell zu früh für Essen, aber die Kellnerin erbarmte sich seiner.
    »Zum Urlaub machen hier?«
    »Nein«, antwortete er ihr und nahm eine zweite Tasse Kaffee.
    »Geschäftlich?«
    »Sowas in der Richtung.«
    »Wo kommen Sie her?«
    »Schottland.«
    »Wirklich?« Sie klang aufgeregt. Er sah sie sich genauer an; ein hübsches sonnengebräuntes Gesicht, rund und lebendig. Sie war nicht groß, hielt sich aber sehr aufrecht, als habe sie nicht vor, ihr Leben lang zu kellnern.
    »Schon mal dort gewesen?« Sein Mund fühlte sich an wie eingerostet. Es war lange her, dass er sich mit Unbekannten unterhalten hatte, Smalltalk hatte machen müssen. Er redete mit den Wochenendkunden, und er hatte seine Familie – und das war’s. Freunde in dem Sinne hatte er keine; vielleicht ein paar Ex-Soldaten, aber die sah er nur unregelmäßig.
    »Nein«, sagte sie in einem Ton, als hätte er einen Witz gemacht. »Bin nie aus Süd-Kal rausgekommen, abgesehen von ein paar Spritztouren über die Grenze und sonst ein-, zweimal an die Ostküste.«
    »Welche Grenze?«
    Jetzt lachte sie richtig. »Welche Grenze? Die nach Mexiko natürlich.«
    Da wurde ihm bewusst, wie schlecht er auf diese Reise vorbereitet war. Er hatte sich überhaupt nicht informiert. Er dachte an die sieben V, die er seinen Wochenendkunden so unnachgiebig einhämmerte. Vorbereitung und Vorausschau. Wie viel V&V war erforderlich, um die Leiche seines Bruders abzuholen?
    »Stimmt was nicht?«, sagte sie.
    Er schüttelte den Kopf – ihm war nicht mehr nach Plaudern zumute. Er holte den Stadtplan heraus, den ihm der Autovermieter geschenkt hatte, dann einen zweiten, von dem an der Rezeption ein ganzer Stapel gelegen hatte, und breitete beide auf dem Tisch aus. Er studierte den Straßenplan von San Diego, dann eine Karte der Umgebung. Sein Auge folgte der Küste in nördlicher Richtung: Ocean Beach, Mission Beach, Pacific Beach und La Jolla.
    »Was hattest du hier zu suchen, Jim?«
    Ihm wurde erst bewusst, dass er laut gesprochen hatte, als er den Blick der Kellnerin bemerkte. Sie lächelte, diesmal aber etwas unsicher. Dann deutete sie auf die Kaffeekanne, und er sah, dass er die zweite Tasse ausgetrunken hatte. Er nickte. Koffein konnte ihm jetzt nur guttun.
     
    »Mr. Reeve?« Der Mann streckte die Hand aus. »Man hat mir an der Rezeption gesagt, dass ich Sie hier finden würde. Ich bin Detective Mike McCluskey.«
    Sie gaben sich die Hand, und McCluskey rutschte in die Nische. Er war ein großer, kräftiger Mann mit einem frischen Gesicht und einer Zahnlücke, die er offenbar zu verstecken suchte, indem er aus dem anderen Mundwinkel sprach. An seinem kantigen Kinn waren seinem Rasierapparat hier und da ein paar Bartstoppeln entgangen, und an der Stelle, wo der Kragen den Hals berührte, zog sich eine dünne Linie von Ausschlag. Er

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