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Sein Blut soll fließen: Thriller (German Edition)

Sein Blut soll fließen: Thriller (German Edition)

Titel: Sein Blut soll fließen: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Rankin
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sein Bruder.«
    »Sie standen sich nicht nahe?«
    Reeve schüttelte wortlos den Kopf. Bald erreichten sie La Jolla, passierten etliche hübsche Bungalows und dann, je mehr sie sich dem Ozean näherten, immer größere, luxuriösere Anwesen. Die Haupteinkaufsstraße von La Jolla war auf beiden Seiten von einer Reihe von Parkbuchten gesäumt, Bäume beschatteten die Bürgersteige, und zwischen ihnen standen Bänke. Die Geschäfte machten einen exklusiven Eindruck; die Passanten trugen eine attraktive Bräune, Sonnenbrillen und ein ständiges Lächeln zur Schau. McCluskey fuhr an den Straßenrand und parkte.
    »Wo?«, fragte Reeve leise.
    »Zwei Parklücken weiter.« McCluskey nickte in die entsprechende Richtung.
    Reeve löste den Sicherheitsgurt und öffnete die Tür. »Ich komm schon allein zurecht«, sagte er zu dem Detective.
    In der übernächsten Parklücke stand ein Auto. Es war ein Familienmodell, im Fond spielten zwei Kinder. Es waren Jungen, Brüder. Jeder von ihnen hielt einen Plastik-Astronauten in der Hand; die Astronauten kämpften miteinander, und die Jungen lieferten dazu die passenden Geräuscheffekte. Als sie merkten, dass Reeve sie anstarrte, musterten sie ihn argwöhnisch, also ging er weiter, blieb auf dem Bürgersteig stehen und schaute nach beiden Seiten die Straße entlang. Jims Leiche war am Sonntag um sechs Uhr früh aufgefunden worden, was Sonntag vierzehn Uhr in Großbritannien bedeutete. Da war er im Moor gewesen, auf der Flucht vor einem Trupp Wochenendkriegern. Krieg spielen: So hatte Jim das Leben seines Bruders mit zwei Worten zusammengefasst. Um zwei Uhr nachmittags hatte es geregnet, und Gordon Reeve war wieder nackt gewesen, seine Sachen im Rucksack verstaut – war nackt bis auf Stiefel und Socken durch das Feuchtgebiet gestapft. Und er hatte nichts gespürt; keine Vorahnung, keinen sympathetischen Stich in die Eingeweide, als sein Bruder Todesangst ausgestanden hatte, kein Feuer im Gehirn.
    McCluskey stand neben ihm. Reeve wandte sich ab und rieb sich die trockenen, brennenden Augen. Die Jungs im Wagen hatten aufgehört zu spielen und starrten ihn nun ihrerseits an. Und jetzt kam ihre Mutter mit einem kleinen Kind zurück und wollte wissen, was los sei. Reeve ging wortlos zurück zu McCluskeys Zivilfahrzeug.
    »Verschwinden wir hier«, sagte er.
    »Einverstanden«, sagte McCluskey.
    Sie tranken in einer überteuerten Hotelbar jeder ein Glas. Reeve bestand darauf zu bezahlen. Der Detective wollte ein Bier, und obwohl Reeve wusste, dass er eigentlich keinen Alkohol anrühren durfte, bestellte er einen Whisky. Er wusste, dass er aufpassen musste; sein Medikament war in Schottland zurückgeblieben. Aber es war nur ein Whisky, und er hatte ihn redlich verdient.
    »Warum La Jolla?«, fragte er.
    McCluskey zuckte die Achseln. »Darauf weiß ich keine Antwort, außer vielleicht: ›Warum nicht?‹ Da mietet sich jemand ein Auto, er denkt seit längerem an Selbstmord. Er fährt einfach so durch die Gegend, und die Welt sieht schön aus – so schön, dass er traurig wird, was er nicht erwartet hat. Und er sagt sich, Scheiße, warum nicht jetzt?« Er zuckte wieder die Achseln.
    Reeve starrte ihn an. »Sie klingen fast so, als hätten Sie das selbst schon erlebt.«
    »Vielleicht ist es auch so. Vielleicht ist das der Grund, warum ich die Selbstmörder übernehme. Warum ich gern ein bisschen Zeit mit den Noch-Lebenden verbringe.« Dann verstummte er und konzentrierte sich auf sein Bier.
    »Kein Abschiedsbrief«, sagte Reeve. »Ich glaub’s einfach nicht. Das Einzige, was Jim sein Leben lang wirklich geliebt hat, waren Worte, besonders gedruckte. Ich bin sicher, dass er einen Abschiedsbrief hinterlassen hätte; und dazu noch einen ziemlich langen. Einen ganzen Roman.« Er lächelte, während er sprach. »Er wäre nicht so sang- und klanglos abgetreten.«
    »Na ja, er hat für eine Story in La Jolla gesorgt. Vielleicht war das seine Art, sich zu verabschieden: eine letzte Titelseite.«
    »Vielleicht«, sagte Reeve und glaubte es halb selbst, wollte es glauben. Er trank seinen Whisky aus. Es war eine großzügige Portion gewesen, ohne weiteres ein Doppelter. Er hatte Lust auf einen zweiten, es war also eindeutig Zeit zu gehen.
    »Zurück zum Hotel?«, schlug McCluskey vor.
    »Zum Motel«, korrigierte ihn Reeve. »Zu Jims Motel.«
     
    Das Zimmer war unverändert.
    Sie hatten es noch nicht geputzt und neu vermietet, sagte McCluskey, weil James Reeve bis Mitte der Woche bezahlt hatte und sie

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