Sein Blut soll fließen: Thriller (German Edition)
Die Liste der Menschen, die er im Laufe seines langen Lebens gemocht hatte, wäre auf einem Adressaufkleber unterzubringen gewesen. Er mochte Hunde – er hatte zwei davon -, und er mochte eine gelegentliche Wette. Er mochte Pasta mit frischem Pesto. Er mochte den Economist und das Wall Street Journal , wenn auch beide nicht mehr so gern wie früher. Er mochte die TV-Serie Inspector Morse, und er mochte die Musik Richard Wagners. Für ein Konzert nahm er halbe Weltreisen auf sich, wenn er sich bezüglich der Qualität der beteiligten Künstler sicher sein konnte.
Er war davon überzeugt, dass der Erfolg seiner Detektei in erster Linie seinem grundsätzlichen Misstrauen und seiner Abneigung gegen Menschen zu verdanken war. Doch der Erfolg hatte weiteren Erfolg nötig gemacht – und damit die Notwendigkeit mit sich gebracht, die Chefetagen von Klientenfirmen zum Essen einzuladen. Von seinem Polsterstuhl aus beobachtete er die angemieteten Kellner, die dafür sorgten, dass die Teller immer gefüllt waren. Sie waren instruiert worden, ihm nicht zu nahe zu kommen. Sollte er irgendwelche Wünsche haben, würde er sie einem Seniorpartner mitteilen, und der würde dann dafür sorgen, dass man ihn entsprechend bediente.
Alles war auf das Sorgfältigste vorbereitet worden. Jedem Gast aus der Klientenfirma war ein Seniorpartner zugeteilt. Er hatte die Aufgabe, den Betreffenden zu betreuen, ihn gegebenenfalls mit anderen Gästen bekannt zu machen, darauf zu achten, dass sein Glas dauernd nachgefüllt wurde. Allerdyce schnaubte fast vor Verachtung. Ein Mann mit schütterem Haar und einem teuren Anzug, der ihm wie ein Wischlappen von den Schultern hing, ließ sich gerade mit Champagner volllaufen. Kippte so viel in sich hinein, wie nur reinging. Allerdyce fragte sich, ob einer der Anwesenden wusste – und wenn, ob es ihn dann auch nur im Mindesten interessiert hätte -, dass es ein 1985er Louis Roederer Cristal war. Der Champagner der Zaren, ein fast unglaublich köstlicher Wein. Er selbst hatte sich lediglich ein Glas davon genehmigt, nur um sich zu vergewissern, dass die Temperatur stimmte.
Ein – nominell für die Betreuung des Plenums verantwortlicher – Seniorpartner kam auf Allerdyce zu und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Allerdyce stellte mit Genugtuung fest, dass mehrere Gäste, darunter sogar der CEO der Klientenfirma, ihnen fast ängstlich zu nennende Blicke zuwarfen – wie es sich gehörte. Der CEO nannte ihn hinter seinem Rücken J. Edgar. Der Spitzname war fast ein Kompliment, wurde aber wahrscheinlich mit einem gewissen nervösen, gezwungenen Lachen ausgesprochen. Er war insofern passend, als Allerdyce, wie Hoover, geradezu süchtig nach Informationen war. Er hortete sie alle, von bloßen Kuriositäten bis hin zu kompletten Geheimberichten. Da er im Mittelpunkt von Washington saß, und vor allem im Mittelpunkt der Geheimnisse von Washington, hatte Allerdyce mit der Zeit eine erkleckliche Menge an Informationen gesammelt. Gezielt nutzte er nur einen sehr kleinen Teil davon. Es genügte ihm, dem CEO die Hand zu schütteln, ihm in die Augen zu starren und den Mann durch diesen Blick wissen zu lassen, dass er von dem Stricher wusste, dem der CEO eine Suite, gerade mal vier Blocks vom Weißen Haus entfernt, finanzierte.
Deswegen warfen sie den zwei flüsternden Männern so nervöse Blicke zu – sie alle, die Geheimnisse zu verbergen hatten. Während der Seniorpartner lediglich »Dulwater wartet draußen« gesagt und Allerdyce »Ich komme in ein paar Minuten« erwidert hatte.
Als er sich langsam aus seinem Stuhl stemmte, eilten etliche Partner-Füße eilfertig herbei und verrieten, dass deren Eigentümer nur zu gern bereit waren, ihm bei Bedarf auf die Beine zu helfen. Und als er auf die Tür zuging, verloren die verschiedenen Gespräche den Faden, verebbten oder wurden zumindest noch leiser. Und als sich die Tür hinter ihm schloss, verspürten alle das Bedürfnis nach einem weiteren Drink.
Dulwater saß auf einem Stuhl neben dem einzigen Lift. Von den verschiedenen Aufzügen, über die das Gebäude verfügte, führte nur einer bis zum Penthouse. Der Stuhl, auf dem Dulwater saß, war auf Louis Quatorze getrimmt und sah so aus, als würde er jeden Augenblick zusammenbrechen. Sobald sein Arbeitgeber auftauchte, stand Dulwater auf. Allerdyce drückte auf den Knopf, und Dulwater war so klug zu schweigen, bis die Fahrstuhltür aufging und sich hinter ihnen wieder geschlossen hatte. Allerdyce führte seinen Schlüssel
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