Sein Blut soll fließen: Thriller (German Edition)
Polizei war noch nicht hinter ihm her. Sie gab ihm Pass und Kreditkarte zurück, dann reichte sie ihm sein Ticket und seine Bordkarte. Reeve dankte ihr und wandte sich ab.
Ein Mann beobachtete ihn.
Oder besser gesagt, er hatte ihn beobachtet. Jetzt aber starrte er angestrengt auf die Schlagzeilen seiner Morgenzeitung. Nur sah er nicht so aus, als würde er sie auch lesen ; Reeve hätte gewettet, dass der Mann nicht einmal Französisch konnte. Er hätte zu ihm hingehen und sich mit ein paar Fragen Gewissheit verschaffen können, aber er durfte hier in der Abfertigungshalle kein Aufsehen erregen – vor allem, da es bis zum Abflug noch eine Weile hin war. Also schlenderte er in Richtung der Toiletten.
Die Toiletten lagen am Ende eines Ganges und dann noch einmal um die Ecke, waren also von der Halle aus nicht zu sehen. Auf der einen Seite die Damen-, auf der anderen die Herrentoiletten. Vor den Damentoiletten stand ein Schild mit dem Hinweis, dass der Raum wegen Reinigungsarbeiten geschlossen sei und man bitte auf die Toiletten am anderen Ende des Terminals ausweichen möchte. Reeve schob das Schild rüber zum Männerklo und ging hinein.
Er hatte Glück: Es war niemand drin. Er sah sich um zur raschen Bestandsaufnahme seiner Möglichkeiten. Als Erstes ging er zu dem ersten Waschbecken neben der Tür, drehte den Hahn voll auf und verstopfte das Abflussloch mit Toilettenpapier. Das Becken fing an, sich zu füllen. An der Wand neben der Tür war ein elektrischer Handtrockner montiert. Perfekt. An der gegenüberliegenden Wand hingen ein paar Verkaufsautomaten. Reeve steckte in einen davon eine Zehn-Francs-Münze und zog die Schublade auf. Das Päckchen enthielt eine Minizahnbürste, Zahnpasta, Einwegrasierer und Kamm. Er warf Zahnpastatube und Kamm weg und machte sich an die Arbeit: schlug den Kopf des Rasierers ein paar Mal gegen das Waschbecken, bis das Plastik abplatzte. Dann löste er die Klinge und steckte sie möglichst tief in den Kopf der Zahnbürste, bis er sicher war, dass sie da fest saß. Jetzt packte er die Zahnbürste am Griff und hatte ein improvisiertes Skalpell.
Mittlerweile ergoss sich das Wasser auf den Fußboden. Reeve fragte sich, wie lang es wohl dauern würde, bis sein Beschatter argwöhnisch werden und sich fragen würde, was zum Teufel los war. Vielleicht würde er vermuten, dass die Toilette eine zweite Tür hatte, einen Notausgang. Er würde hereinkommen, um nachzuschauen. Reeve hoffte bloß, dass er nicht zuerst anrufen würde, um seinem Boss oder seinen Bossen Zwischenbericht zu erstatten. Reeve wollte ein Vieraugengespräch. Er setzte sich auf den Rand des Waschbeckens, in der hinteren Ecke des Raums, und reckte sich nach dem Handtrockner. Ein Elektrokabel kringelte sich unten daraus hervor und verschwand in der Wand. Reeve zerrte an dem anderen Ende, bis es aus dem Gerät herausfiel, und zog weiter. Wie er gehofft hatte, gab es in der Wandhöhlung noch jede Menge Kabel. Das machten Elektriker oft so; umso leichter ließ sich das Gerät dann bei Bedarf an einer anderen Stelle montieren. Er zog so viele Kabel aus der Wand, wie er konnte. Dann wartete er. Das Wasser ergoss sich weiter auf den Fußboden. Er hoffte, dass der Dreckskerl sich beeilte, damit nicht vorher der Wartungsdienst neugierig wurde oder irgendein Geschäftsmann den Drang verspürte, seinen Morgenkaffee wieder rauszulassen …
Die Tür öffnete sich. Ein Mann trat platschend ins Wasser. Es war der Beschatter. Reeve knallte ihm das Strom führende Ende des Kabels ins Gesicht und zerrte ihn dann herein. Die Hände vors Gesicht geschlagen, rutschte der Mann auf dem nassen Fußboden aus und fiel um ein Haar hin. Reeve ließ das Kabel los und setzte damit den ganzen überschwemmten Fußboden unter Strom. Das Gesicht des Mannes verzerrte sich zur Karikatur eines Lachens, und er brach in die Knie und fiel vornüber auf die Hände, was die Sache nur noch schlimmer machte. Die Elektrizität ließ ihn noch ein paar Sekunden lang zucken, bis Reeve das Ende des Kabels aus dem Wasser zog und es ins Waschbecken legte. Dann rutschte er von seinem Hochsitz hinunter, hockte sich vor dem Mann hin und hielt ihm die Klinge an die Kehle.
Der Mann zitterte am ganzen Leib, seine Nerven sprühten noch immer Funken. Nach dem, was man so hörte, kamen manche Leute bei so was richtig auf den Geschmack. Reeve war in Verhörtechniken geschult worden, und einer der Ausbilder hatte ihm mal erzählt, dass manche Gefangenen regelrecht süchtig nach den
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