Sein Blut soll fließen: Thriller (German Edition)
deinen Zweck erfüllen.«
Reeve verkniff sich eine Frage. Er will mich nur reizen, dachte er. Das ist alles. Scheiß drauf. Das Einzige, was zählt, ist der Auftrag.
Jay schien seine Gedanken zu lesen. Am Himmel östlich von ihnen donnerten Flugzeugmotoren. »In Rio Grande ist heut Nacht ganz schön was los. War das nicht ein Film, Rio Grande? «
»John Wayne und Dean Martin.«
»Dean Martin, also das nenn ich einen Schauspieler!«
»Ja, einen beschissenen.«
»Das stimmt nicht. Schon mal Matt Helm gesehen? Oder diese Komödien, die er gemacht hat? Toller Schauspieler.«
Reeve schüttelte lediglich den Kopf.
»Schüttel nicht den Kopf, das ist mein Ernst. Du lässt einfach keine andere Meinung gelten, stimmt’s? Deswegen mag dich keiner. Ich sag das nur zu deinem Besten.«
»Leck mich, Jay.« Er wollte, dass man ihn Jay nannte. Die meisten im Regiment waren unter ihrem Vornamen bekannt, nicht aber Jay. Er wollte, dass die Leute seinen Nachnamen benutzten. Keiner wusste, warum. Er nannte Reeve »Philosoph«, seit er ihn dabei erwischt hatte, wie er Nietzsche las. Reeve konnte den Spitznamen nicht ausstehen, aber er war ihn nicht wieder losgeworden.
Am zweiten Abend bauten sie die richtige Beobachtungsstation auf, mit einem anständigen Blick auf den Flugplatz. In dieser Nacht setzten sie ihre ersten Funksignale ab und verzogen sich dann schleunigst wieder, als sie merkten, dass eine achtköpfige argentinische Patrouille in ihre Richtung kam.
»Die waren schnell«, gab Jay zu, den nur halb eingepackten Sender auf dem Rücken.
»Ja, nicht?«, sagte Reeve, dem unter dem Gewicht seines Rucksacks fast die Knie einknickten. Sie mussten die Übertragung augenblicklich abgefangen haben. Sie hatte nicht mehr als ein paar Sekunden gedauert. Jay hatte eine »Burst-Übertragung« abgesetzt: eine im Voraus festgelegte chiffrierte Nachricht, die im Bruchteil einer Sekunde zum Schiff geschickt werden konnte. Vor der Übermittlung hatte er die Nachricht in den Scrambler getippt, ein Gerät, das wie eine kleine elektrische Schreibmaschine aussah. Theoretisch hätten die Argentinier sie in Anbetracht der Kürze der Sendezeit überhaupt nicht orten dürfen . Die Theorie war eine wunderbare Sache, aber die Praxis gab oft genug keinen Furz darauf. Die Argentinier besaßen offensichtlich irgendein neues Gerät, etwas, wovon man ihnen nichts gesagt hatte, etwas, das der »Grüne Schleim« – die Jungs vom Nachrichtendienst – irgendwie nicht mitgekriegt hatte.
Während sie marschierten, lärmten Flugzeuge über ihnen. Skyhawks, Mirage-Jets. Kurze Zeit vorher waren es auch Pucaras gewesen. Die argentinische Luftwaffe sorgte dafür, dass es nicht langweilig wurde. Beide Männer wussten, dass sie eigentlich die ein- und ausgehenden Flüge hätten notieren und bei der nächsten Gelegenheit per Funk durchgeben sollen. Aber sie hatten genug damit zu tun, sich nicht erwischen zu lassen.
Das Hauptproblem war das Gelände. Wie meist – und zwar mit gutem Grund – der Fall, gab es rings um den Flugplatz nicht allzu viele Hügel. Ebenes Grasland und Gestrüpp mit gelegentlichen kleinen Erhebungen dazwischen, das war ihr Operationsgebiet. Schwierig, auf solchem Gelände unentdeckt zu bleiben. Sie zogen ein paar Kilometer weiter und scharrten sich eine neue Kuhle. Sie hatten sich vom Flugplatz entfernt, konnten aber noch immer erkennen, wann Maschinen starteten. Reeve stand Wache – oder besser gesagt, lag Wache -, während Jay eine Runde schlief. Sie wagten nicht, das Wasser abzukochen, aus Angst, dass man den Dampf sehen könnte. Außerdem wusste man nie, was eine wärmegesteuerte Rakete nicht alles orten konnte. Also trank Reeve kaltes Wasser und verschlang unaufgewärmten Dosenfraß. Er führte im Kopf alle möglichen Gespräche, und allesamt auf Spanisch. Könnte sich später als nützlich erweisen. Vielleicht könnten sie bluffen... nein, dazu war sein Spanisch nicht gut genug. Aber sollten sie lebend gefasst werden, würden ihm solche vorbereiteten Dialoge vielleicht von Nutzen sein. Dann könnte er Kooperationsbereitschaft zeigen. Nicht, dass er dazu verpflichtet gewesen wäre – jedenfalls nicht nach der Genfer Konvention; aber andererseits lag Genf ein ganzes Stück weit weg...
Reeve blinzelte. Der U-Bahnwaggon war gestopft voll. Er warf einen Blick über die Schulter und sah durch die schmierige Scheibe den Namen der Haltestelle: Leicester Square. Er stand auf, schob sich durch das Gedränge aus dem Waggon und stieg in
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