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Sein Bruder Kain

Sein Bruder Kain

Titel: Sein Bruder Kain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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zuzusehen. Sie hatte gerade etwas zu ihm gesagt, das ihm klarmachte, daß sie beinahe alles wußte und er fast nichts. Diese Erkenntnis war einerseits sehr demütigend gewesen, andererseits aber auch, zumindest zu dieser Zeit, sehr tröstlich.
    »Nein, ich habe den Fall nicht aufgegeben«, sagte er, und seine Stimme klang viel sanfter, als er beabsichtigt hatte. »Ich werde so lange, wie ich nur kann, weitermachen, bis ich Belege dafür gefunden habe, daß Angus tot ist. Ich würde von Herzen gern beweisen, daß Caleb ihn ermordet hat, aber das wird vielleicht nicht möglich sein.«
    Ihre ziemlich unregelmäßigen Augenbrauen hoben sich. »Hat Mrs. Stonefield die notwendigen Mittel dafür? Nach dem, was Sie mir bisher erzählt haben, hatte ich den Eindruck, daß sie da gewisse Schwierigkeiten hat oder jedenfalls in Kürze bekommen dürfte.«
    »Nein, sie hat diese Mittel nicht, und deshalb hat sich Lord Ravensbrook bereit erklärt, für die Nachforschungen aufzukommen. Sie befürchtet jedoch, daß er die Zahlungen einstellen könnte.«
    Sollte er sie fragen? Sie hatte nur sehr geringen Anteil an dem Fall genommen. Sie konnte den Ausbruch von Typhus als die dringendere Angelegenheit betrachten, und vielleicht hatte sie recht damit. Seine Vorstellung von der Höhe der Summe, die sie für solche Dinge erübrigen konnte, war vage.
    »Dann würde ich mit Freuden Ihr Honorar übernehmen, solange Sie glauben, daß es Sinn hat weiterzumachen.« Sie sah ihm direkt in die Augen. »Das heißt, solange es Mrs. Stonefield oder ihren Kindern nützt.«
    »Ich danke Ihnen«, sagte er demütig.
    »Habe ich da richtig gehört, daß Sie sagten, Sie hätten ein wenig mehr über Caleb Stone erfahren?« erkundigte sie sich neugierig. »Darüber, wo er wohnt, wenn man sagen kann, daß er überhaupt irgendwo wohnt. Nach allem, was mir zu Ohren gekommen ist, verbringt er eine Menge Zeit damit, von einem Ort zum anderen zu ziehen. Wahrscheinlich, um seinen Feinden aus dem Weg zu gehen, die den Gerüchten nach Legion sein dürften.«
    »Ja. Alles, was Sie wissen oder gehört haben, könnte nützlich sein«, erwiderte er. »Wenn ich einen Zeugen hätte, der zuerst die beiden Brüder zusammen und dann Caleb allein gesehen hat, würde ich wissen, wo man nach einer Leiche suchen könnte. Selbst wenn ich keine finde, würde es vielleicht ausreichen, um die Polizei zu bewegen, den Fall aufzugreifen. Angus Stonefield war ein allseits respektierter Mann.«
    »Ich begreife, warum Sie das wollen, William.« Mühsam erhob sie sich von ihrem Platz. »Ich mag zwar die letzten Wochen mit der Pflege der Kranken hier beschäftigt gewesen sein, aber meinen Verstand habe ich deshalb nicht verloren. Ich werde Hester zu Ihnen schicken. Sie hat noch mehr Zeit mit diesen Menschen zugebracht als ich, vor allem mit Mary. Ich habe mich mit den verängstigten, verbitterten Männern im Gemeinderat herumgeschlagen, und sie haben genug geredet, um eine ganze Bibliothek mit ihren Worten zu füllen, vorausgesetzt man akzeptiert, daß alle Bücher den gleichen Inhalt haben; aber nichts, was sie gesagt haben, hätte auch nur den leisesten Nutzen für Mensch oder Tier.« Und bevor er widersprechen konnte, verließ sie das Zimmer, und er saß im Licht einer Talgkerze allein an dem Tisch, schaute die mit Wasserflecken verunstalteten Wände an und wartete auf Hester.
    Es vergingen einige Minuten, bevor sie kam, und als sie endlich erschien, fühlte er sich zutiefst unbehaglich.
    Sie schloß die Tür hinter sich.
    Er stand automatisch auf, bis sie auf dem Stuhl Platz genommen hatte. Sie begann ohne Umschweife zu reden. Callandra mußte ihr sein Anliegen erklärt haben.
    »Alle hier fürchten sich vor Caleb«, sagte sie ernst. »Er scheint sich in der ganzen Gegend herumzutreiben, die sich von der East India Dock Road zum Fluß erstreckt…«
    »Die Isle of Dogs«, unterbrach er sie. »Das weiß ich bereits.«
    »Auf beiden Seiten«, fuhr sie fort, ohne ihm weitere Beachtung zu schenken. »Und in den Greenwich-Sümpfen bis nach Bugsby's Reach hinunter. Die meiste Zeit über weiß niemand genau, wo er steckt. Er schläft auf den Werften, auf Lastkähnen und manchmal bei Selina Herries, die Sie bereits kennen.«
    »Ja, die kenne ich tatsächlich«, meinte er ungeduldig.
    Sie ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Ich glaube nicht, daß irgend jemand Caleb verraten würde, es sei denn, er könnte sicher sein, daß er dessen Rache nicht zu fürchten braucht. Und von Selina würde man

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