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Sein Bruder Kain

Sein Bruder Kain

Titel: Sein Bruder Kain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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haben, auch wenn Ihnen selbst ein solcher Gedanke fernliegt.«
    »Wenn ich gerade meine Frau verloren hätte, würde ich mich nicht der attraktivsten Frau zuwenden, die ich finden kann«, erwiderte er. »Ich würde mir Trost von einem anderen Mann holen.«
    Ihre Verachtung wuchs. »Seien Sie nicht so naiv. Wenn Sie eine Frau wären, würden Sie sich schon aufgrund praktischer Erwägungen eher an einen Mann als an eine Frau wenden. Nicht daß die Männer die besseren Tröster wären; es geht lediglich darum, daß sie von anderen Menschen ernster genommen werden. Die Leute halten Frauen grundsätzlich für unfähig, ob sie es nun sind oder nicht. Und natürlich haben sie keine eigene rechtliche Position.«
    Bevor er die genau passende vernichtende Bemerkung machen konnte, trat Callandra zu ihnen. Sie sah ebenfalls müde und derangiert aus, und ihre Kleider waren verschmutzt, aber ihr Gesicht verriet, daß sie sich freute, ihn zu sehen.
    »Hallo, William. Macht Ihr Fall Fortschritte? Ich nehme an, das ist der Grund, warum Sie hier sind?« Geistesabwesend strich sie sich das Haar aus dem Gesicht, wobei sie es gleichzeitig mit Ruß vom Herd verschmierte, aber ihre Stimme klang frischer, und ein von innen kommender Glanz trat in ihre Augen. Sie hielt seinem Blick ohne einen Wimpernschlag stand. »Können wir Ihnen in irgendeiner Weise behilflich sein? Wir haben eine ganze Menge über diesen abscheulichen Mann mit Namen Caleb Stone gehört. Ich bin nicht sicher, ob Ihnen das etwas nützen würde.«
    »Es könnte mir sogar sehr viel nützen«, sagte er schnell. »Ich habe ihn mittlerweile gefunden, und er hat zugegeben, Angus getötet zu haben, aber es fehlt noch immer die Leiche. Selbst wenn ich Calebs Schuld niemals beweisen kann, so sehr ich es mir auch wünschte, ist das Wichtigste, daß ich die Behörden um der Witwe willen von Angus' Tod überzeugen kann.«
    »Ja natürlich. Ich verstehe.«
    »Können wir uns hier irgendwo ein wenig ungestörter unterhalten?« fragte er, während er den Blick von Hester abwandte.
    Callandra verbarg ein leises Lächeln, entschuldigte sich dann und führte Monk in den kleinen Vorratsraum, in dem sie sich bei ihrem letzten Treffen schon unterhalten hatten. Hester kehrte unterdessen wieder zu ihren Pflichten zurück.
    »Sie scheinen schlecht gelaunt zu sein, William«, bemerkte sie, sobald die Tür geschlossen war. Sie setzte sich auf den einzigen Stuhl, und er nahm halb rittlings auf der Bank Platz.
    »Ist es der Ärger über Ihren Fall, oder haben Sie sich wieder einmal mit Hester gestritten?«
    »Immer, wenn ich sie sehe, ist sie noch unvernünftiger und halsstarriger als beim letztenmal«, antwortete er. »Und einfach unerträglich selbstgerecht. Das ist eine ausgesprochen unschöne Eigenschaft, vor allem bei einer Frau. Auch scheint ihr vollkommen die Fähigkeit abzugehen zu gefallen, und das sollte doch wohl einer der größten Vorzüge einer Frau sein, außerdem ist sie völlig humorlos.«
    »Ich verstehe.« Callandra nickte und schob sich die letzte widerspenstige Haarsträhne hinters Ohr. »Was für ein Glück, daß Sie so empfinden. Wenn sie nun an Typhus erkranken würde wie die arme Enid Ravensbrook, wären Sie nicht so unglücklich, wie wenn Sie Hester gern hätten oder liebenswert fänden.«
    Wie ungeheuerlich, so etwas zu sagen! Der Gedanke, Hester könne genauso entsetzlich krank werden wie Enid Ravensbrook oder diese armen Seelen hier, war erschreckend. Er jagte ihm einen kalten Schauder über den Rücken, und ihm war, als friere er innerlich. Natürlich würde sie nicht in einer so luxuriösen Umgebung versorgt werden wie Enid. Niemand würde Tag und Nacht bei ihr sitzen, um sie mit der Hingabe zu pflegen, die zu ihrem Überleben notwendig war. Er konnte es natürlich versuchen, und er würde es auch versuchen. Aber er hatte nicht das notwendige Wissen. Wie konnte Callandra etwas so absolut Herzloses sagen?
    »Nun, sprechen wir lieber über diesen Fall«, sagte sie fröhlich und ignorierte seine Gefühle vollkommen. »Die Sache klingt sehr hoffnungslos. Was wollen Sie als nächstes unternehmen? Oder haben Sie den Fall abgeschrieben?«
    Er wollte gerade eine ausgesprochen bissige Antwort geben, als er die Belustigung in ihren Augen bemerkte; plötzlich kam er sich sehr töricht vor, und für eine Sekunde konnte er sich glasklar daran erinnern, wie er als Kind an einem Küchentisch gestanden und das Kinn darauf gestützt hatte, um seiner Mutter beim Ausrollen von Kuchenteig

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