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Sein Bruder Kain

Sein Bruder Kain

Titel: Sein Bruder Kain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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arbeitete unter diesen Menschen, riskierte jeden Tag ihr eigenes Leben, um ihnen in ihrer allergrößten Not beizustehen. »Wer? Wo finde ich diese Leute?«
    Sie gab ihm eine Liste von fünf Namen - einem Mann, drei Frauen und einem Jungen - und wußte auch, wo alle fünf zu finden waren.
    »Vielen Dank«, sagte er aufrichtig. »Das ist ganz hervorragend. Wenn eine dieser Personen mir etwas berichten kann, ist es vielleicht möglich, Mrs. Stonefield doch noch zu helfen. Ich werde mich sofort auf die Suche machen.«
    Aber das tat er dann doch nicht. An diesem Abend hatte er sich mit Drusilla verabredet, und das war ein Vergnügen, auf das er nicht verzichten mochte. Nicht einmal um Genevieve Stonefields willen wollte er diese Verabredung absagen, um statt dessen in Dunkelheit und Kälte durch die Elendsviertel von Limehouse zu ziehen. Diese Sache konnte bis morgen warten und würde dann auch erheblich einfacher und sicherer sein. Caleb mußte wissen, daß Monk ihn nach wie vor verfolgte. Er war kein Mann, der untätig abwartete, bis man ihm Handschellen anlegte.
    Das Wetter hatte sich aufgeklart. Es war ein trockener, kühler Abend, an dem nur die allgegenwärtige Dunstglocke die Sterne verbarg.
    Um halb acht stieg Monk tadellos gekleidet aus einer Droschke, um Drusilla an der Treppe der Britischen Archäologischen Gesellschaft in der Sackville Street abzuholen. Sie hatte ihn darum gebeten, sie dort zu treffen, weil sie, wie sie sagte, mit einer überaus langweiligen Freundin vereinbart hatte, mit ihr zu Abend zu speisen. Sie hatte die Verabredung abgesagt, aber um lange und unnötige Erklärungen zu vermeiden, wollte sie lieber nicht zu Hause sein.
    Sie traf pünktlich um halb acht ein, so wie sie es versprochen hatte. Sie trug ein Seidengewand mit weiten Röcken, das die Farbe von durch Brandy betrachtetem Kerzenlicht hatte. Es stand ihr wunderbar zu Gesicht. Sie schien in Gold und Bronzetöne getaucht zu sein, und ihre Haut war von einer Zartheit und Wärme, wie er sie noch nie bei einer Frau gesehen hatte.
    »Ist etwas nicht in Ordnung?« erkundigte sie sich lachend.
    »Sie schauen so ernst drein, William!«
    Der Klang seines Namens aus ihrem Mund erfüllte ihn mit Freude. Es kostete ihn einige Mühe, sich wieder zu fassen.
    »Nein, alles bestens. Ich habe sogar Neuigkeiten, die mir vielleicht doch noch helfen werden herauszufinden, wo der arme Angus Stonefield zu Tode gekommen ist.«
    »Ach?« sagte sie eifrig, während sie seinen Arm ergriff und sich zum Gehen wandte. »Die ganze Sache scheint furchtbar tragisch zu sein. Hat er es nur aus Eifersucht getan, was meinen Sie? Warum jetzt? Er muß doch schon seit Jahren eifersüchtig auf ihn gewesen sein.« Sie schauderte ein wenig. »Ich frage mich, was wohl passiert ist, daß sich die Dinge plötzlich verändert haben? Ich glaube nicht, daß es wirklich wichtig ist, aber wüßten Sie es nicht auch gern?« Sie wandte sich zu ihm um und sah ihn neugierig an. »Meinen Sie nicht, daß die Frage, warum die Menschen tun, was sie tun, zu den interessantesten Fragen überhaupt zählt?«
    »O ja, da bin ich ganz Ihrer Meinung.« Sie konnte nicht ahnen, daß sie damit einen Nerv getroffen hatte, konnte nicht wissen, wie viele von seinen eigenen Taten er nur vom Hörensagen her kannte, ohne sich selbst daran zu erinnern, so daß er auch nicht wissen konnte, warum er so gehandelt hatte. So viele Handlungen lassen sich entschuldigen, wenn man die Gründe dafür kennt.
    »Sie sehen so traurig aus.« Sie betrachtete forschend mit ihren großen haselnußbraunen Augen sein Gesicht. »Wohin wollen wir gehen, damit ich Sie ein wenig aufheitern kann? Glauben Sie immer noch, daß die Witwe mit der Sache nichts zu tun hat? Glauben Sie, sie könnte Caleb in jüngster Zeit vielleicht kennengelernt haben?«
    Die Idee war seltsam. Es fiel ihm schwer, sich vorzustellen, daß die in gesellschaftlicher Hinsicht so korrekte, im Umgang mit Geld so vorsichtige, häusliche Genevieve auch nur das geringste Interesse an diesem gewalttätigen, einsamen Caleb haben konnte, einem Mann, der von der Hand in den Mund lebte, der niemals wußte, was er morgen essen oder wo er heute schlafen sollte.
    »Nein, das glaube ich nicht!«
    »Warum nicht?« hakte sie nach. »Schließlich muß er seinem Bruder sehr ähnlich sehen. Er müßte etwas an sich haben, das sie anzieht.« Sie lächelte, und das Lächeln war sogar in ihren Augen.
    »Ich weiß. Sie sagen, Angus sei sehr respektabel und in jeder Hinsicht

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