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Sein Bruder Kain

Sein Bruder Kain

Titel: Sein Bruder Kain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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    Monk ging wieder die Manila Street entlang und wandte sich dann nach Osten. Es regnete immer noch.
    Der Wirt des Artichoke brachte ihm ein Stück Aalpastete und ein Glas Bier, betrachtete ihn aber voller Argwohn. Männer, die sich so kleideten wie Monk, pflegten solche Tavernen nicht aufzusuchen, aber Geld war Geld, und er nahm es, ohne zu zögern.
    Nachdem Monk gegessen hatte, begann er seine Fragen zu stellen, höflich zuerst, aber schließlich mit einem drohenden Unterton in der Stimme. Er brachte nur eine Tatsache in Erfahrung, die sich - wenn es denn eine war - als nützlich erweisen konnte, und selbst sie war ihm nicht direkt, sondern nur als Nebensatz einer ausgiebigeren Beleidigung zuteil geworden. Aber so etwas hatte ihn schon viele Male auf den richtigen Weg gebracht. Ein wütender Mann verriet mehr, als er glaubte. Dem Wirt entschlüpfte die Bemerkung, daß Caleb verschiedene Freunde habe, sei es aus Sympathie oder weil man sich gegenseitig nützlich sein konnte, und einer dieser Freunde, ein weiterer gefährlicher und raffgieriger Mann, besaß einen Lagerplatz hinter Cold Harbour, direkt am Viehkai. Anscheinend war er ein guter Freund von Caleb, einer, dem dieser vertrauen konnte und der dem Wirt zufolge jedes Unrecht rächen würde, das Leute wie Monk Caleb zufügten.
    Eine Viertelstunde später stand Monk wieder direkt am Flußufer, in der Nähe von Cold Harbour. Der Fluß jagte grau und schnell dahin und trug Schiffe, Kähne und alle möglichen Abfälle mit der auslaufenden Flut aufs Meer hinaus. Eine tote Ratte trieb vorbei und nach ihr ein halbes Dutzend verrotteter Holzlatten. Der Geruch nach Abwässern stieg ihm in die Nase. Ein halb aufgetakelter Klipper schaukelte majestätisch aus dem Hafen in Richtung offenes Meer.
    Es war nicht schwer, den Hafen zu finden, aber auch dieser konnte nur als Ausgangspunkt dienen. Wenn Caleb von Anfang an vorgehabt hatte, seinen Bruder zu ermorden, hätte er sich dafür einen weniger belebten Ort ausgesucht. Er wäre kaum das Risiko eingegangen, daß jemand seine Tat beobachtete. Es gab viel zu viele Menschen am Fluß, die jede Möglichkeit, Caleb Stone zu ruinieren, nur allzu bereitwillig genutzt hätten.
    Und wenn die Tat auf einen Streit folgte, der außer Kontrolle geraten war, dann mußte er ebenfalls irgendwo hingegangen sein, wo niemand ihn sehen konnte, um nachzudenken, wie er die Leiche beseitigen sollte. Sie einfach in den Fluß zu werfen, wäre ein zu großes Risiko gewesen, vor allem tagsüber. Die Leiche mußte beschwert und in der Mitte des Flusses versenkt werden. Noch besser wäre es gewesen, sie nach Limehouse zu bringen und als Typhusopfer zu begraben. Und all das brauchte Zeit.
    Es hätte wenig Zweck gehabt, die Sache direkt anzugehen. Monk stellte den Kragen seines Mantels noch höher und ging am Hafen entlang. Er fand alle möglichen Leute dort vor, Arbeiter, Obdachlose und die Hungrigen und Frierenden, die Faulen oder Kranken, die sich in Hauseingängen zusammenkauerten und unter Säcken oder Segeltuch Zuflucht vor der Kälte suchten. Er befragte sie alle. Er ging von einem Ende Cold Harbours zum anderen und dann über die Brücke über das Blackwall Bassin zur Treppe und hinunter ans Wasser.
    Von dort aus schlenderte er langsam flußabwärts, bahnte sich seinen Weg über schlüpfrige Steine und nasse Planken, über verrottende Dachschindeln, über Stapelplätze zum Verladen und Löschen von Fracht. Er sah die unterschiedlichste, hochaufgetürmte Handelsware und Berge von Fisch. Er stieg Treppen hinauf und hinunter, überquerte Landungsbrücken, die über dunkles, stilles Wasser zu einem Dutzend größerer oder kleinerer Schiffsbauplätze und Docks führten. Und überall waren dieser Gestank, der Klang tropfenden, gurgelnden Wassers und das Knirschen von Planken und bis zum Zerreißen gespannten Seilen.
    Bei Dämmerungseinbruch war er erschöpft, wütend und durchgefroren bis auf die Knochen, aber er weigerte sich aufzugeben. Irgendwo hier in der Nähe hatte Caleb Angus getötet. Irgend jemand hatte sie bei ihrem Streit beobachtet oder belauscht, hatte laute Stimmen gehört, einen Aufschrei aus Zorn oder Schmerz, und dann Caleb gesehen, wie er die Leiche wegtrug. Vielleicht war Blut geflossen, oder es hatte eine Waffe gegeben. Die beiden Männer hatten die gleiche Größe, den gleichen Körperbau. Wenn es zu einem Kampf gekommen war, mußten sie einander ziemlich ebenbürtig gewesen sein, selbst wenn man an ihre unterschiedlichen

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