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Sein Bruder Kain

Sein Bruder Kain

Titel: Sein Bruder Kain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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diese Sache Mrs. Stonefield mit größtmöglicher Schonung beizubringen, und ich bitte Sie, ihr jeden Trost zu spenden, den Sie zu bieten haben.«
    Niven erbleichte. »Sie haben Angus' Leiche gefunden?«
    »Nein, aber ich glaube, seine Kleider. Ich brauche Mrs. Stonefields Hilfe, um sie zu identifizieren.«
    »Ist das nötig?« Nivens Stimme klang erstickt, und seine Augen flehten Monk an.
    »Ich würde nicht darum bitten, wenn es nicht nötig wäre«, antwortete Monk freundlich. »Ich glaube, es sind seine Kleider, aber ich kann die Sache nicht der Polizei vorlegen, wenn ich vorher nicht jeden Zweifel ausgeräumt habe. Sie ist die einzige, deren Wort man bei der Polizei akzeptieren würde.«
    »Der Kammerdiener?« fragte Niven mit schwacher Stimme und biß sich dann auf die Lippen. Vielleicht wußte er bereits, daß Genevieve sämtliche Dienstboten bis auf die Kinderfrau und das Hausmädchen entlassen hatte, so sicher war sie sich in ihrem Herzen, daß Angus nie mehr zurückkehren würde. »Ja… ja, ich nehme an, Sie haben recht«, pflichtete er Monk bei. »Möchten Sie, daß ich jetzt gleich mit Ihnen komme?«
    »Wenn Sie so freundlich wären, ja. Sie sollte nicht allein sein, wenn ich diese Sache mit ihr bespreche.«
    »Dürfte ich die Kleidungsstücke sehen? Ich habe Angus gut gekannt. Wenn sie nicht sehr neu sind, erkenne ich sie vielleicht wieder. Zumindest weiß ich über seinen Geschmack und seinen Stil Bescheid.«
    »Und kennen Sie auch den Namen seines Schneiders?« fragte Monk.
    »Ja. Mr. Wicklow von Wicklow & Harper.«
    Das war der Name in dem Anzug, den Monk gestern abend auf seinem Heimweg von der East India Dock Road getragen hatte. Kleider eines Toten. Er nickte, preßte die Lippen zusammen, holte das Kleiderbündel aus seiner Tasche und rollte es auf. Nivens Gesicht war aschfahl. Er sah das Blut, die Schmutz und Wasserflecken und den zerfetzten, eingerissenen Stoff. Er schluckte krampfhaft und nickte dann. Schließlich blickte er zu Monk auf, und der Ausdruck in seinen blauen Augen war ruhig und voller Entsetzen.
    »Ich hole meinen Mantel.« Dann wandte er sich ab. Monk bemerkte, daß seine Hände ganz leicht zitterten, und die Haltung seiner Schultern war starr, als koste es ihn große Kraft, sich zu beherrschen und ruhig zu bleiben.
    Sie nahmen einen Hansom und fuhren schweigend ihrem Ziel entgegen. Es gab nichts zu sagen, und keiner von ihnen versuchte, eine Unterhaltung in Gang zu bringen. Monk stellte fest, daß er mit einer fast an ein Gebet grenzender Intensität hoffte, daß Niven keinen Anteil an Angus' Tod gehabt hatte. Je besser er den Mann kennenlernte, um so mehr mochte und bewunderte er ihn.
    Vor Genevieves Haus stiegen sie aus, baten den Kutscher jedoch zu warten. Sie war vielleicht bei den Ravensbrooks, und in diesem Fall würden sie ihr dorthin folgen und sie sehr wahrscheinlich gleich darauf nach Hause bringen müssen.
    Dies erwies sich jedoch als unnötig. Das Hausmädchen, das die Tür öffnete, erklärte, daß Mrs. Stonefield zu Hause sei, und als sie Niven erkannte, zögerte sie nicht, die beiden Herren einzulassen.
    Monk bezahlte den Droschker und schickte ihn weg, bevor er Niven ins Haus folgte.
    »Was ist passiert, Mr. Monk?« fragte Genevieve sofort, nachdem sie die Kinderfrau mit den Kindern fortgeschickt hatte. Ein Blick auf Nivens Gesicht hatte ihr klargemacht, daß die Neuigkeiten, die sie brachten, sehr ernster Natur sein mußten.
    »Sie haben Angus gefunden…«
    »Nein.« Er würde ihr so schnell wie möglich alles erklären. Wenn er es hinauszögerte, verschlimmerte er ihr Leiden nur.
    »Ich habe einige Kleider gefunden, von denen ich glaube, daß sie ihm gehört haben. Wenn es so ist und Sie das ohne Zweifel feststellen könnten, reicht das vielleicht, um die Polizei zum Eingreifen zu bewegen.«
    »Ich verstehe.« Ihre Stimme war kaum ein Flüstern.
    »Erlauben Sie mir, die Sachen anzusehen.«
    Niven trat näher an sie heran. Selbst in dieser schmerzlichen Stunde war er, wie Monk feststellte, nicht verlegen. Er zeigte keine Spur von Befangenheit. Vielleicht lag das daran, daß seine Gedanken ganz bei ihr waren und er keinen Platz für sich selbst darin hatte. Der Anblick des Mannes war auf seltsame Weise tröstlich, ein Hauch von Wärme in der eisigen Kälte.
    Monk öffnete seine Tasche und zog die Jacke heraus. Es war nicht nötig, daß sie auch die Hose sah und das Blut, von dem sie durchtränkt war. Er rollte die Jacke auf und hielt sie hoch. Die blutbefleckte

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