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Sein Bruder Kain

Sein Bruder Kain

Titel: Sein Bruder Kain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Lebensbedingungen dachte. Was Angus an körperlicher Betätigung und an Übung im Faustkampf fehlte, konnte er vielleicht zum Teil durch eine bessere Ernährung und Gesundheit ausgleichen.
    Monk aß diesmal in einer anderen Taverne zu Abend und machte sich dann in der Dunkelheit wieder auf den Weg. Es hatte aufgehört zu regnen, war aber noch kälter geworden. Über dem Fluß stieg Nebel auf, der in dünnen Schwaden über die Straßen Zog und die wenigen Laternen noch verdüsterte. Das Klagen der Nebelhörner driftete körperlos von den Lastkähnen über das Wasser. An der Ecke Robin Hood Lane und East India Dock Road wärmten sich zwei Männer an einem Kohlenfeuer, über dem sie Kastanien rösteten.
    Das Feuer lockte auch Monk an, denn es bot eine gewisse Zuflucht vor der schneidenden Kälte. Es bedeutete menschliche Gesellschaft und war ein Licht in der alles umschließenden Dunkelheit.
    Als er näher kam, sah er, daß einer der Männer eine alte Matrosenjacke trug, die ihm an den Schultern zu eng war, aber wenigstens den Regen abhielt. Der andere hatte etwas an, das Monk auf den ersten Blick für einen maßgeschneiderten Gehrock gehalten hätte, wäre so etwas an diesem Ort nicht völlig absurd gewesen. Und noch während er das Kleidungsstück genauer in Augenschein nahm, sah er, daß es schlaff, ja sogar formlos an dem Mann herunterhing. Als dieser sich bewegte, um das Feuer zu schüren, wurde sichtbar, daß der Rock so übel zerrissen war, daß er an den Seiten offenstand, und unter einer Schulter befand sich ein Flicken, der viel dunkler aussah als der übrige Stoff. Die Jacke schien naß zu sein. Armer Teufel. Monk fror schon in seinem dicken Wollmantel mehr als genug.
    »Zwei Pence für ein paar Kastanien«, sagte er barsch. Er wollte nicht allzu deutlich als Fremder erkannt werden.
    Der Mann in dem Rock streckte wortlos die Hand aus. Monk legte zwei Pence hinein.
    Daraufhin holte der Mann fachmännisch ein Dutzend Kastanien aus dem Feuer und beförderte sie in die Asche am Rand, damit sie ein wenig abkühlten. Sein Rock war gut geschnitten. Die Aufschläge saßen perfekt, der Rand des Kragens war von einem Schneider, der sich auf sein Handwerk verstand, abgesteppt worden. Monk kannte sich in diesem Metier aus. Der Rock war für einen Mann von Monks Größe und Schulterumfang angefertigt worden.
    Angus Stonefield?
    Er warf einen Blick auf die Hosen des Mannes. Im Licht des Kohleofens konnte man kaum etwas erkennen, aber er hatte den Eindruck, daß sie zum Rock paßten.
    Ihm kam ein ungeheuerlicher Gedanke. Es war ein verzweifelter Versuch. »Ich möchte die Kleider mit Ihnen tauschen. Für eine Guinee!«
    »Was?« Der Mann starrte ihn an, als könne er seinen Ohren nicht trauen. Auf den ersten Blick war die Sache natürlich lächerlich. Monk hatte sich, seit er das Haus Ravensbrook verlassen hatte, nicht umgezogen. Sein Mantel hatte ihn mehrere Pfund gekostet. Er konnte es sich nicht leisten, einen neuen zu kaufen. Aber wenn Drusilla ihre Pläne in die Tat umsetzte, würde er am Ende ohnehin nicht besser dastehen als dieser Unglückliche hier. Zumindest hätte er dann jedoch die Befriedigung, vorher noch Caleb Stone gefaßt zu haben. Damit wäre wenigstens der Gerechtigkeit Genüge getan!
    »Mein Mantel für Ihre Jacke und Ihre Hose«, wiederholte er. Der Mann erwog das Für und Wider. »Und Ihren Hut«, feilschte er.
    »Der Mantel oder gar nichts!« fuhr Monk ihn an.
    »Was soll ich denn ohne Hosen machen?« fragte der Mann.
    »So was ist unanständig!«
    »Meine Jacke und meine Hose gegen Ihre, und ich behalte den Mantel«, lenkte Monk ein. »Und den Hut.« Das war sowieso ein besseres Geschäft. Er hatte noch mehr Anzüge.
    »Zeigen Sie.« Der Mann wollte sehen, worauf er sich einließ. Monk öffnete seinen Mantel, damit der andere seinen Anzug beurteilen konnte.
    »Gemacht!« sagte er sofort. »Sie sind verrückt, jawohl, aber abgemacht ist abgemacht.«
    Daraufhin tauschten sie in der nebelverschleierten Dunkelheit neben dem Kohleofen feierlich ihre Kleider, wobei Monk seinen Mantel keinen Augenblick aus der Hand legte, nur für den Fall, daß dem anderen Mann plötzlich die Idee kam, ihn zu stehlen.
    »Blöd«, wiederholte der Mann, als er Monks warme Jacke anzog. Sie war zu groß, aber immer noch sehr viel besser als das zerfetzte Kleidungsstück, von dem er sich gerade getrennt hatte.
    Monk zog seinen Mantel wieder an, nickte dem zweiten Mann zu, der die ganze Sache ungläubig beobachtet hatte, als

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