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Sein Bruder Kain

Sein Bruder Kain

Titel: Sein Bruder Kain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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nicht, wenn sie die Sache einfach mit Anspielungen und leisen, versteckten Worten angeht. Was schlagen Sie vor? Daß ich sie wegen Verleumdung verklage? Machen Sie sich nicht lächerlich! Selbst wenn ich das tun könnte, was nicht der Fall ist, würde es trotzdem meinen Ruf ruinieren. Schon allein die Tatsache, daß ich sie als Lügnerin bezeichne, würde die Sache verschlimmern.« Er sah aus wie ein Mann am Rand eines Abgrunds, der der Zerstörung seiner Existenz ins Auge blickte.
    »Natürlich nicht«, sagte sie ruhig. »Wer ist Ihr Berater? Lord Cardigan?«
    »Wovon zum Teufel reden Sie da?«
    »Vom Angriff der leichten Kavallerie«, antwortete sie bitter. Sie sah einen Schimmer von Begreifen in seinem Gesicht aufdämmern.
    »Also, was schlagen Sie vor?« fragte er, noch immer hoffnungslos.
    »Ich bin mir nicht sicher«, erwiderte sie, während sie sich von ihrem Stuhl erhob und an das schmale Fenster trat. »Aber ganz bestimmt keinen Frontalangriff auf die befestigten Stellungen des Feindes. Wenn er sich auf der Höhe verschanzt hat und uns von dort aus mit seinen Geschützen bedroht, dann müssen wir ihn entweder dort herauslocken oder uns auf irgendwelchen Umwegen an seine Stellungen heranmachen.«
    »Hören Sie auf, Soldat zu spielen«, sagte er leise. »Nur weil Sie auf der Krim Verletzte gepflegt haben, heißt das nicht, daß Sie auch nur den leisesten Schimmer von Kriegführung haben.«
    »O doch, genau das bedeutet es!« sagte sie und fuhr zu ihm herum. »Das erste, was man verdammt noch mal über die Kriegführung lernt, ist, daß Soldaten dabei getötet werden. Fragen Sie jeden, der dabeigewesen ist! Natürlich abgesehen von diesen verfluchten inkompetenten Generälen.«
    Er mußte lächeln, aber in seinem Lächeln lag nichts als Galgenhumor.
    »Was für eine charmante Frau Sie doch sind. Was also schlagen Sie in diesem ganz speziellen Krieg vor? Soll ich sie erschießen, sie belagern, ihr Wasser vergiften oder darauf warten, daß der Winter mit seiner Eiseskälte ihr den Garaus macht? Oder soll ich hoffen daß sie sich mit Typhus ansteckt?«
    »Verlassen Sie sich auf eine andere Frau«, antwortete sie und wünschte noch in dem Augenblick, als sie die Worte aussprach, daß sie es nicht getan hätte. Sie hatte keine Pläne, keine Ideen, nur die Entschlossenheit zu siegen.
    Er sah sie verwirrt an. »Eine andere Frau? Zu welchem Zweck? Wen meinen Sie?«
    »Mich natürlich, Sie Narr!« gab sie zurück. »Sie haben nicht die leiseste Ahnung von Frauen oder davon, wie sie denken. Das hatten Sie noch nie. Offensichtlich haßt Drusilla Sie. Wie haben Sie sie kennengelernt?«
    »Ich habe sie auf der Treppe der Geographischen Gesellschaft beinahe umgerannt. Oder vielleicht war es auch umgekehrt.«
    »Sie glauben, sie hat die Sache so eingefädelt?« fragte sie ohne große Überraschung. Frauen taten solche Dinge viel öfter, als den meisten Männern klar war.
    »Jetzt glaube ich es. Damals nicht.« Eine bittere Belustigung leuchtete für einen Moment in seinen Augen auf. »Sie muß sehr überrascht gewesen sein, als ich sie nicht sofort erkannte. Sie hat mich einige Minuten lang in ein Gespräch verwickelt. Wahrscheinlich hat sie darauf gewartet, daß ich mich an sie erinnere, und dann schließlich begriffen, daß ich es nicht tun würde.«
    »Sie erinnern sich an gar nichts?« drängte Hester. »Auch kein vager, flüchtiger Eindruck?«
    »Nein! Natürlich erinnere ich mich an nichts, sonst hätte ich es gesagt. Ich habe alles in Erwägung gezogen, was mir eingefallen ist, aber ich erinnere mich an gar nichts, was sie betrifft. An rein gar nichts.«
    Sie hatte für einen kurzen Moment Einblick in seine Gefühle die absolute Hilflosigkeit, die Schatten und das sekundenschnelle Aufblitzen von Grausamkeiten in seiner Erinnerung und die Ängste die ihn immer begleiten würden. Dann war der Augenblick vorüber. Alles, was sie empfand, waren Zärtlichkeit und die Entschlossenheit, ihn zu beschützen, koste es, was es wolle.
    »Es spielt ohnehin keine Rolle«, sagte sie. Dann trat sie zu ihm, berührte ganz sanft seinen Kopf, nur ihre Finger in seinem Haar und nur eine Sekunde lang. »Sie ist es, die uns jetzt interessieren muß. Ich werde mir etwas einfallen lassen, wie wir uns wehren können. Keine Angst. Kommen Sie ihr auf gar keinen Fall noch einmal in die Nähe. Suchen Sie weiter nach Angus Stonefield.«
    »Zumindest werde ich da unten in dem Schlamm um die Isle of Dogs herum wohl kaum einem rachsüchtigen Mitglied

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