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Sein Bruder Kain

Sein Bruder Kain

Titel: Sein Bruder Kain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Zorn wie auch seine körperliche Kraft. Sie hatte die Leiche des zu Tode Geprügelten auf dem Mecklenburg Square nicht vergessen, ebensowenig wie die Tatsache, daß Monk damals befürchtet hatte, die Tat selbst begangen zu haben.
    Seine Augen weiteten sich, und er starrte sie voller Empörung an.
    »Nein!« rief er. »Gott im Himmel, nein! Wie können Sie so etwas auch nur fragen?« Die Worte erstickten ihn schier. Er sah aus, als würde er ihr diese Frage niemals verzeihen. Er zitterte vor Wut, sein Körper war gestrafft, als stünde er kurz vor einem Gewaltausbruch, nur um eine Spannung zu lösen, die unerträglich wurde.
    »Weil ich Sie kenne«, antwortete sie, obwohl sie langsam das Gefühl hatte, ihn vielleicht doch nicht so gut zu kennen. »Wenn jemand Sie nur genug in Rage gebracht hat, könnten Sie…«
    »Eine Frau!« Die Worte schienen ihm die Kehle zuzuschnüren. »Einer Frau Gewalt antun? Mich ihr aufzwingen?«
    Sie war verblüfft. Das war so absurd, daß es schon beinahe komisch war.
    Nur daß er es offensichtlich ganz ernst meinte und wirklich Angst hatte. Eine solche Anklage konnte ihn ruinieren, das wußte sie nur allzugut, denn ihre eigene berufliche Existenz hing von einem tadellosen Ruf ab, und sie wußte, wie nah sie einmal daran gewesen war, diesen Ruf zu verlieren. Es war Monk gewesen, der für sie gekämpft hatte, der sich Tag und Nacht dafür eingesetzt hatte, ihre Unschuld zu beweisen.
    »Das ist lächerlich«, sagte sie ernst. »Sie kann offensichtlich nichts beweisen, aber genauso offensichtlich können Sie nicht das Gegenteil beweisen, sonst wären Sie nicht hier. Wer ist sie, und was ist passiert? Ist sie jemand, den Sie irgendwann einmal zurückgewiesen haben? Oder hat sie einen anderen Grund für eine solche Anklage? Glauben Sie, sie erwartet ein Kind und braucht jemanden, dem sie die Schuld zuschieben kann?«
    »Ich weiß es nicht.« Endlich nahm er Platz; er starrte den geflickten Teppich an. »Ich weiß nicht, warum sie es getan hat, nur daß sie es mit voller Absicht tat. Wir saßen in einem Hansom und fuhren nach Hause. Der Abend…« Er zögerte und hielt den Blick noch immer gesenkt. »Der Abend war recht erfreulich verlaufen, und wir hatten ein angenehmes Dinner. Plötzlich riß sie sich das Mieder ihres Kleides auf, starrte mich dann mit schier abgrundtiefem Haß an, schrie und warf sich aus der fahrenden Kutsche - vor den Augen einiger Leute, die gerade von einem Fest in der North Audley Street kamen!«
    Sie spürte, wie seine Angst auch von ihr Besitz ergriff. In einem solchen Verhalten lag ein Hauch von Wahnsinn. Die Frau hatte nicht nur Monks Ruf riskiert, sondern auch ihren eigenen. Wie unschuldig sie auch zu sein behauptete, es würde Gerede geben, Spekulationen und böse Zungen, die nur allzu bereit waren, Unfreundliches über sie zu sagen.
    »Wer ist sie?« fragte sie noch einmal.
    »Drusilla Wyndham«, sagte er sehr leise.
    Sie sagte nichts. In ihr regte sich eine Mischung seltsamer Gefühle - Erleichterung darüber, daß er Drusilla jetzt unmöglich lieben konnte und daß sie ihn in jeder Hinsicht verraten hatte, und Haß auf Drusilla aus ganz anderen Gründen als zuvor, denn jetzt war die Frau eine Bedrohung für ihn. Außerdem beunruhigten sie die Verletzungen, die Drusilla ihm zufügen konnte, und die Ungerechtigkeit des Ganzen machte sie wütend. Sie verspürte nicht die leiseste Neugier, was das Warum betraf.
    »Wer ist sie?« fragte sie. »Ich meine, in gesellschaftlicher Hinsicht. Woher kommt sie?«
    Er sah sie an, und zum erstenmal wich er ihrem Blick nicht aus.
    »Ich weiß nicht mehr über sie, als ich ihrem Verhalten und ihrer Redeweise entnehmen konnte, was allerdings genug war. Aber warum ist das wichtig? Wer sie auch ist, sie kann mich mit dieser Sache ruinieren. Dazu braucht sie noch nicht einmal mit einem maßgeblichen Mitglied der Gesellschaft verwandt zu sein.« Die Ungeduld, weil sie diese Sache nicht zu begreifen schien, ließ seine Stimme lauter werden. »Jede Frau, die diese Anklage erhebt, außer vielleicht einer Dienerin oder Prostituierten…«
    »Das weiß ich.« Sie fiel ihm genauso scharf ins Wort, wie er es vorher getan hatte, und hob die Hand, um ihre Worte zu unterstreichen. »Daran denke ich auch gar nicht, ich denke lediglich darüber nach, wie man gegen sie kämpfen kann. Man muß seinen Feind kennen!«
    »Ich kann sie nicht bekämpfen!« Seine Stimme wurde vor Zorn laut. »Wenn sie vor Gericht geht, kann ich alles leugnen, aber

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