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Sein Bruder Kain

Sein Bruder Kain

Titel: Sein Bruder Kain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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etwas zu berichten gewußt!«
    »Sie hat nichts Neues erfahren«, nahm Rathbone sie in Schutz. »Sie sagte, es gebe nichts, was wir nicht bereits wüßten.«
    »Was ist mit Caleb, verflucht!« rief Goode ärgerlich. »Wenn das kein Unfall war, dann war es entweder Selbstmord - und wir haben bereits festgestellt, daß das unwahrscheinlich ist - oder Mord. Im Interesse menschlichen Anstands müssen wir es wissen.«
    »Dann sollten wir weiter in die Vergangenheit zurückgehen und uns nicht nur Calebs Leben in Limehouse ansehen«, erwiderte Rathbone und nahm sich einen zweiten Keks. »Die Antwort ist in der Beziehung zwischen Ravensbrook, Angus und ihm zu suchen. Das heißt, in Chilverley. Alles, was wir tun können, ist, die Sache in die Länge zu ziehen, bis Monk zurückkommt oder uns zumindest einen Zeugen schickt!«
    Goode seufzte. »Und Gott weiß, was wir dann zu hören bekommen werden!«
    »Oder was wir beweisen werden können«, fügte Rathbone hinzu und trank sein Bier aus.
    Die Nachmittagsverhandlung begann damit, daß der Leichenbeschauer Milo Ravensbrook in den Zeugenstand rief. Sofort legte sich absolutes Schweigen über den Raum. Selbst das leiseste Geräusch verstummte, und alle Blicke ruhten auf ihm. Seine Haut war von kränklicher Blässe, aber seine Kleidung war tadellos und seine Haltung sehr aufrecht. Er schaute weder nach links noch nach rechts, als er seinen Platz hinter dem Geländer einnahm und mit einer klaren, leicht heiseren Stimme seinen Namen nannte. Seine Jacke war offen und fiel locker an ihm herab, um Platz für die Verbände für seine Verletzungen zu schaffen. Sein Kiefer war angespannt.
    Noch bevor der Leichenbeschauer zu sprechen begann, erhob sich ein leises Gemurmel, in das sich Respekt und Mitleid mischten.
    Rathbone warf einen Blick in die Menge. Enid sah ihren Mann an, und in ihren Augen lag ein Ausdruck von Trauer und Mitleid. Beinahe geistesabwesend verirrte ihre Hand sich zu Genevieve, die neben ihr saß.
    »Lord Ravensbrook«, begann der Leichenbeschauer.
    »Würden Sie uns bitte erzählen, was am Tag von Caleb Stones Tod vorgefallen ist. Sie brauchen nichts von dem zu erwähnen, was passiert ist, bevor Sie schließlich seine Zelle betraten, es sei denn, Sie wünschen dies. Auch wenn es meine Pflicht von mir verlangt, möchte ich nicht unnötig in Sie dringen.«
    »Vielen Dank«, antwortete Ravensbrook, ohne ihn anzusehen. Er starrte die Wand gegenüber an und sprach wie in Trance. Er schien die Ereignisse im Geist noch einmal zu durchleben, und sie waren realer für ihn als der holzvertäfelte Raum, das gütige Gesicht des Leichenbeschauers oder die Menschen im Saal, die jedem seiner Worte lauschten. Alle Blicke ruhten auf seinem Gesicht, das von starken Gefühlen bewegt und doch seltsam starr war, als hielte er all seine Empfindungen mit unbarmherziger Strenge in seinem Innern fest.
    »Der Wärter öffnete die Tür und trat zurück, um mich einzulassen«, begann er mit flacher, bedächtiger Stimme. »Ich hatte um Erlaubnis gebeten, allein mit Caleb sprechen zu dürfen. Ich wußte, daß es sehr wohl das letzte Mal sein konnte, daß man mir Gelegenheit dazu gab. Die Verhandlung lief nicht gut für ihn.« Sein Zögern war kaum wahrnehmbar. »Ich… ich wollte ihm einige Dinge sagen, die von persönlicher Natur waren. Wahrscheinlich war es töricht von mir, aber ich hoffte, daß er mir um Angus' Witwe willen vielleicht mitteilen würde, was zwischen ihm und Angus vorgefallen war, damit sie wissen könnte, daß Angus seinen… Frieden gefunden hatte, wenn Sie so wollen.«
    Der Leichenbeschauer nickte. Irgendwo im Raum wurde ein Seufzer hörbar.
    Genevieve sog scharf die Luft ein, gab sonst aber keinen Laut von sich. Sie schloß die Augen, als könne sie es nicht ertragen, irgend etwas zu sehen.
    Rathbone blickte zu Goode hinüber und las eine Frage in seinen Augen.
    »Es war natürlich nutzlos«, schloß Ravensbrook. »Nichts, was ich sagen konnte, hatte irgendeine Wirkung auf ihn oder konnte den Zorn in seinem Herzen beschwichtigen.«
    »War er wütend, als Sie die Zelle betraten, Lord Ravensbrook?« fragte der Leichenbeschauer mit großen, sanften Augen. »Der Wärter scheint uns nichts darüber sagen zu können.«
    »Er war… verdrossen«, erwiderte Ravensbrook mit leichtem Stirnrunzeln. Wenn er die Tatsache bemerkte, daß Selina Herries ihn anstarrte, als wolle sie sich sein Bild für alle Zeiten einprägen, so ließ er sich jedenfalls nichts davon anmerken. »Ich bat ihn,

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