Sein Bruder Kain
in einem noch so behaglichen Salon.
»Gut, gut. Machen Sie es sich bitte bequem, während ich mit der Köchin spreche.«
Reverend Nicolson war so offensichtlich erfreut darüber, Gesellschaft zu haben, daß Monk zumindest die erste Hälfte der Mahlzeit verstreichen ließ, bevor er auf den Grund seiner Reise zu sprechen kam. Er schluckte den letzten Bissen kalten Hammelfleisches hinunter und legte dann Messer und Gabel beiseite.
Das Mädchen erschien mit einer heißen, knusprigen Apfelpastete und einem Krug Rahm und stellte beides mit sichtlicher Befriedigung auf den Tisch, bevor sie die leeren Teller abräumte.
Dann begann der Pfarrer seine Geschichte, und Monk lauschte mit Erstaunen, Zorn und wachsendem Mitleid.
13
Die gerichtliche Untersuchung des Todes von Caleb Stone wurde zwei Tage später eröffnet. Auf den Zuschauerbänken drängten sich die Neugierigen. Es war ein ungewöhnliches Ereignis gewesen, und die Leute wollten wissen, wie so etwas passieren konnte.
Lord Ravensbrook mußte anwesend sein, um eine Aussage zu machen, da er ja der einzige unmittelbare Zeuge war. Außerdem wurden die drei Gefängniswärter in den Zeugenstand gerufen, wo sie alle sehr steif Platz nahmen, verlegen und äußerst verängstigt. Jimson war davon überzeugt, daß sie alle unschuldig waren; Bailey, daß sie alle die Verantwortung dafür trugen und entsprechend zur Rechenschaft gezogen werden würden. Der dritte Wärter, der die Sache gemeldet hatte, weigerte sich, überhaupt eine eigene Meinung zu haben.
Auch Hester wurde um ihre Aussage gebeten, wenn auch nur von Rathbone und nicht vom Leichenbeschauer. Zu guter Letzt wurde noch der Arzt befragt, der mit der offiziellen Untersuchung der Leiche betraut gewesen war.
Enid Ravensbrook saß neben ihrem Mann, mit bleichem, ausgezehrtem Gesicht, aber ruhigem Blick, und wirkte insgesamt körperlich weniger angegriffen als in der Woche zuvor. An ihrer Seite hatte Genevieve Stonefield Platz genommen, und neben ihr, ruhig und gelassen, Titus Niven.
Selina Herries saß allein da, mit hocherhobenem Kopf, das Gesicht weiß und starr, die Augen schreckgeweitet. Rathbone sah sie an, und ein unerklärlicher Kummer um sie bemächtigte sich seiner. Sie hatten nicht das geringste gemeinsam, nicht die Kultur, nicht den Glauben, ja, sie sprachen kaum dieselbe Sprache. Und doch erfüllte ihr Anblick ihn mit einem Gefühl der Trauer. Er wußte, was es bedeutete, einen Menschen zu verlieren, der einem nahegestanden hatte, wie zwiespältig oder verworren die Gefühle auch sein mochten.
Ebenezer Goode war noch nicht erschienen. Er war derjenige, der Caleb Stones Interessen offiziell vertreten sollte.
Rathbone hatte Genevieve überredet, ihm zu gestatten, sie zu vertreten, als Schwägerin des Verstorbenen und seiner nächsten Verwandten. Ravensbrook war nur sein Vormund gewesen und hatte keinen der beiden Jungen adoptiert, und Selina war nicht mit Caleb verheiratet gewesen.
Der Leichenbeschauer war ein großer, freundlicher Mann mit einem verbindlichen Lächeln. Er eröffnete das Verfahren mit der geziemenden Förmlichkeit und rief dann den ersten Zeugen auf, den Gefängniswärter Jimson. Der Raum war schlicht, ganz anders als das Hohe Gericht in Old Bailey. Es gab keine Stufen zum Zeugenstand zu erklimmen, keine prächtige Bank und keinen an einen Thron erinnernden Stuhl für den Leichenbeschauer, wie der Richter ihn für sich in Anspruch nehmen durfte. Jimson stand hinter einem einfachen Geländer, das nur dazu diente, dem Zeugen seinen Platz zuzuweisen, und der Leichenbeschauer setzte sich an einen schweren Eichentisch.
Jimson schwor, die Wahrheit zu sagen, und gab dann Namen und Beruf zu Protokoll. Er war so nervös, daß er immer wieder schluckte und über seine eigenen Worte stolperte.
Der Leichenbeschauer lächelte ihn wohlwollend an.
»Nun, Mr. Jimson, erzählen Sie uns, was passiert ist. Es gibt keinen Grund, solche Angst zu haben. In dieser Verhandlung geht es um eine Untersuchung, nicht um eine Anklage. So! Fangen Sie mit dem Zeitpunkt an, da der Gefangene wieder von Ihnen in Gewahrsam genommen wurde, nachdem das Gericht sich vertagt hatte.«
»Ja, Sir! Mylord!«
»›Sir‹ reicht vollkommen. Ich bin kein Richter.«
»Ja, Sir. Vielen Dank, Sir!« Jimson holte tief Luft und schluckte erneut. »Er war in einer merkwürdigen Verfassung, der Gefangene, meine ich. Er lachte und krakeelte und fluchte zum Steinerweichen. Er hatte eine Wut im Bauch, wie ich es noch nie erlebt habe,
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