Sein Bruder Kain
nur daß er gleichzeitig gelacht hat, als gab's da einen tollen Witz, den außer ihm keiner verstand. Aber er hat uns keine Schwierigkeiten gemacht, das nicht«, fügte er hastig hinzu. »Er ist gleich in seine Zelle rein, und wir haben ihn eingeschlossen.«
»Wir?« fragte der Leichenbeschauer nach. »Können Sie sich nicht daran erinnern, wer von Ihnen es gewesen ist?«
»Doch, Sir, ich war es.«
»Verstehe. Fahren Sie fort.«
In dem Raum herrschte fast völlige Stille, abgesehen vom leisen Rascheln von Stoff, als jemand auf seinem Stuhl hin und her rutschte, und einem Flüstern, als eine Frau sich an ihren Nachbarn wandte. Die anwesenden Journalisten schrieben bisher nicht mit.
»Dann kam Lord Ravensbrook und fragte, ob er den Gefangenen sehen könne; er wäre ja sozusagen sein einziger Verwandter«, fuhr Jimson fort. »Und noch dazu, wo die Verhandlung so schlecht lief für ihn. Schätze, er dachte wohl, daß es bald ein Urteil geben würde, und dann hätte man ihm nicht mehr erlaubt, allein mit ihm zu sprechen, weil er dann ja nämlich schuldig gewesen wäre, und bis dahin war er schließlich noch unschuldig, zumindest vor dem Gesetz.«
»Ich verstehe.« Der Leichenbeschauer nickte. »Sie brauchen das nicht weiter zu erklären, es ist ganz offenkundig und völlig natürlich.«
»Vielen Dank, Sir.« Jimson wirkte allerdings nicht im mindesten erleichtert. »Na ja, wir hatten nichts daran auszusetzen, Bailey und Alcott und ich, also haben wir ihn reingelassen…«
»Einen Augenblick mal, Mr. Jimson«, unterbrach ihn der Leichenbeschauer. »Als Sie Lord Ravensbrook eingelassen haben, wie ging es da dem Gefangenen? Wie hat er sich benommen, welchen Eindruck machte er auf Sie? War er immer noch in dieser zornigen Stimmung? Wie hat er Lord Ravensbrook begrüßt?«
Jimson sah ihn verwirrt an.
»Haben Sie ihn gesehen, Mr. Jimson?« bedrängte der Leichenbeschauer ihn. »Es ist wichtig, daß Sie uns wahrheitsgemäß antworten. Die Angelegenheit betrifft immerhin den Tod eines Mannes, der sich in Ihrem Gewahrsam befand.«
»Ja, Sir.« Jimson schluckte krampfartig, denn er war sich seiner Verantwortung geradezu verzweifelt bewußt.
»Nein, Sir, ich bin nicht mit Seiner Lordschaft reingegangen. Ich… ich wollte das nicht, schließlich war er ja Familie, sozusagen, und ich wußte von dem Wärter, der ihn vor Gericht beaufsichtigte, wie schlecht die Sache für ihn lief und daß man ihn wahrscheinlich hängen würde. Ich habe Seine Lordschaft reingelassen, als er sagte, er möchte lieber allein mit dem Gefangenen reden…«
»Lord Ravensbrook sagte, er wünsche den Gefangenen allein zu sprechen?«
»Ja, Sir, so war es.«
»Verstehe. Was ist dann weiter passiert?«
»Kurz drauf kam Seine Lordschaft wieder raus und bat um eine Schreibfeder und Tinte und Papier, weil der Gefangene irgend etwas aufschreiben wollte, ich habe vergessen, was.« Er spielte unruhig mit seinem Kragen. Er schien ihm zu eng zu sein. »Ich habe Bailey geschickt, die Sachen zu holen, und als er zurückkam, habe ich sie Seiner Lordschaft gegeben, und der ist wieder rein in die Zelle. Ein paar Minuten später kam dann ein Schrei, und jemand hämmerte an die Tür, und als ich öffnete, kam Seine Lordschaft aus der Zelle getaumelt, voller Blut, und sagte, es habe einen Unfall gegeben oder so etwas und der Gefangene sei tot… Sir.« Er holte tief Luft und nahm seinen Faden wieder auf. »Er sah schrecklich blaß und erschrocken aus, Sir, der arme Herr. Also habe ich Bailey weggeschickt, Hilfe zu holen. Ich glaube, er hat auch ein Glas Wasser geholt, aber Seine Lordschaft war zu aufgeregt, um es zu trinken.«
»Sind Sie in die Zelle gegangen, um nach dem Gefangenen zu sehen?« wollte der Leichenbeschauer wissen.
»Ja, Sir, natürlich. Er lag in einer Blutlache, groß wie ein See, Sir, und seine Augen standen weit offen und starrten zur Decke.« Wieder zerrte er an seinem Kragen. »Er war tot. Man konnte nichts mehr für ihn tun. Ich habe die Tür zugezogen, aber nicht verschlossen, hatte keinen Sinn mehr. Alcott ist dann rauf, um zu melden, was passiert ist, und ich habe für Seine Lordschaft getan, was ich konnte, bis Hilfe kam.«
»Vielen Dank, Mr. Jimson.« Der Leichenbeschauer hielt nach Goode Ausschau.
»Wo steckt Mr. Goode?« fragte er mit einem Stirnrunzeln.
»Ich denke, er sollte die Familie des Toten vertreten. Ist das nicht so?«
Rathbone erhob sich. »Doch, Sir, Sie haben ganz recht. Ich weiß nicht, was ihn aufgehalten haben
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