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Sein eigen Fleisch und Blut: Thriller (German Edition)

Sein eigen Fleisch und Blut: Thriller (German Edition)

Titel: Sein eigen Fleisch und Blut: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caro Ramsay
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tausendfacher Vervielfältigung. Er war an der Wand, auf dem Boden, an der Decke.
    In der Ecke stand ein Stutzflügel mit zwei Blättern handgeschriebener Noten auf dem Ständer, mit Korrekturen und kindlichen Kritzeleien. Quinn ging hinüber und sah sie sich an. Niemand sagte in den folgenden Minuten etwas. Schließlich richtete sich Quinn auf. »Das«, sagte sie, »ist sehr interessant. Es sind Musik und Text vom ›Tambourine Girl‹, gewidmet Rogan O’Neill. Gewidmet Rogan O’Neill, verstehen Sie. Nicht von Rogan O’Neill. Und der Text ist ein bisschen anders. I play my tambourine … « Quinn sang die Zeile leise vor sich hin.
    Auf der Kommode, dem einzigen Möbelstück außer dem Bett, stand eine Sammlung gerahmter Fotos, alle von Rogan und Frances und der Kleidung zufolge alle aus den achtziger Jahren. Quinn nahm eines und fluchte.
    »Mein Gott. Sehen Sie sich das an, Frances und Rogan – als Traumpaar. Eher als Albtraumpaar. Das arme, ausgenutzte Mädchen.« Sie seufzte, stellte das Foto zurück und schwenkte mit dem Taschenlampenstrahl über die anderen. »Wie alt sieht sie denn da aus, Jack? Sie war keine zwanzig, oder?«
    »Jünger, würde ich sagen.«
    »Erklärt das irgendetwas?«
    Jack O’Hare suchte im Lichtstrahl seiner Taschenlampe Decke und Wände ab und ließ den Anblick auf sich wirken. »Diese Zurschaustellung von Bildern ist ungewöhnlich, zwanghaft, aber dies … « Er zeigte auf die alten Zigarettenstummel, die in einer Reihe aufgereiht und mit Datum und Ort versehen waren. »… ist eher verstörend.« Einige mottenzerfressene Männerkleidungsstücke hingen von einer Bilderleiste. »Und sehen Sie sich das an …« Hinter der Tür gab es eine Sammlung halb versengter Zeitungsausschnitte. »Sie hat bei jedem Einzelnen die Freundin ausgebrannt.«
    Irvine beugte sich vor und wollte sie durchblättern.
    »Nicht, Gail, das sind Beweisstücke. Nehmen Sie einen Stift.«
    »Tut mir leid, Ma’am. Ich bin ein bisschen durcheinander von alledem.«
    »Ja, ich weiß, das hier ist hart, aber es wird nicht besser, wenn wir Beweismittel vernichten.«
    »Und ich glaube, das wäre ein Beweisstück«, meinte O’Hare und zeigte auf etwas. »Könnten Sie mal leuchten, Rebecca?« An der Wand, umrahmt von einem Wickeltuch, hingen weitere Bilder. »Wer ist das?«, fragte O’Hare. »Das sind alte Fotos, wie es aussieht.«
    »Rogan als Kind. Er war von Natur aus eigentlich blond«, stellte Quinn fest. »Er und Elvis Presley hatten beide helle Haare, wissen Sie.«
    O’Hare trat näher heran und sah sich die Bilder genau an. »Na, man lernt doch nie aus.«
    »Prof?«, rief Irvine aus der Ecke. Ihre Stimme zitterte, ihr Gesicht leuchtete bleich im Schein der Taschenlampe. »Was ist das? Hier drüben, in diesem Glasding?« O’Hare richtete seine Lampe auf einen kleinen Glaskasten in der Ecke. »Es sieht aus wie aufgerolltes Papier in einer Decke«, sagte Irvine bebend. »Da ist etwas an das Glas geklebt. Könnten Sie mal draufleuchten? Es ist ein Gedicht. Nein, das ist der Text von diesem anderen Song, von ›The Lost Boy‹.«
    O’Hare blickte ihr über die Schulter. »Ist die gleiche Handschrift wie die andere und ist datiert auf …« Er sah genauer hin. »1985.« Dann fiel das Licht auf den Inhalt des Glaskastens. »Kommen Sie da weg, Irvine«, sagte er freundlich, aber eindringlich.
    »Was ist das denn?«, wollte Irvine unsicher wissen.
    »Das ist, fürchte ich, oder besser: war einmal ein Baby.«

Heiligabend

30
     
    »… in jedem verfluchten Jahr, seit du alt genug zum Trinken bist.«
    »Ungefähr vierzehn in meinem Fall.«
    »Du solltest damit nicht noch prahlen, und, ja: Seit du vierzehn warst, drehte sich an Heiligabend immer alles um dich; wir mussten ertragen, wie du den ganzen Tag unter deiner Decke auf dem Sofa lagst und getrunken und Käsetoast und Chips und Schokolade als Weihnachtsessen in dich reingestopft hast«, rief Lynne aus der Küche, wo sie in der Besteckschublade herumkramte. Eve hatte alles durcheinandergebracht. Wieder einmal.
    »Ach, was regst du dich auf? Weihnachten ist da, um vor dem Fernseher zu hocken. Du wolltest einen blöden Truthahn und diesen Scheiß. Wir haben es immer dreihundertvierundsechzig Tage im Jahr vermieden, gemeinsam zu essen, und dann, an diesem einen Tag, sollten wir fröhlich und glücklich sein, aber wir haben bloß öde herumgesessen und belangloses Zeug geredet, während wir uns Steve McQueens Arsch auf diesem Motorrad hätten angucken

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