Sein eigen Fleisch und Blut: Thriller (German Edition)
vorn anfangen.« Er rang sich ein Lächeln ab. »Wie geht es dir?«
»Besser als dir, scheint mir. Du bist vollkommen fertig, das sieht man dir an.«
Anderson blickte auf seine Hose und sein Hemd, die beide mit Troys getrocknetem Blut befleckt waren. Wenn nur, wenn nur …
»Was werdet ihr jetzt unternehmen?«
»Ich glaube, Quinn organisiert die Gruppe neu. Wir haben etwas übersehen, und ich habe nicht den geringsten Schimmer, was.« Er blickte sie ruhig an.
Sie wich seinem Blick nicht aus. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll.«
Anderson setzte sich auf die Bettkante. »Danke. Ich habe es langsam satt, dass jeder mir zu sagen müssen glaubt, alles werde gut werden. Hast du gehört, der eine Junge hat nicht mehr gelebt?«
»Das hat im Krankenhaus die Runde gemacht. Und wie geht es dem anderen?«
»Der arme Luca hat eine ordentliche Unterkühlung, aber sonst geht es ihm gut. Seine Mutter hat sich noch nicht wieder genug erholt, damit er zu ihr kann, doch die Schwestern kümmern sich rührend um ihn. Dieses Jahr bekommt er zu Weihnachten bestimmt mehr Geschenke als jedes andere Kind. Und weißt du, er hält Frances weiterhin für eine gute Frau. Ihr sei es nur schlecht gegangen, so wie seiner Mum auch. Ich habe auf ihrem Sofa gesessen und Fernsehen geguckt, und es war alles super. Die Ratte habe Troy umgebracht. Das erzählt er den Schwestern.«
»Und warum hat sie es getan?«
»Wer weiß? Quinn und Costello versuchen mit aller Macht, es herauszufinden. Batten, der Psychologe, wäre wahrscheinlich der richtige Mann für die Sache.«
»Vielleicht, weil sie keine Kinder hatte – da fangen die Gefühle schon einmal an, Achterbahn zu fahren.« Helena sah wieder aus dem Fenster. »Möglicherweise wollte sie unbedingt ein Kind, und da hat sie sich einfach eines genommen.«
Anderson betrachtete ihr Profil. Sosehr er auch wollte, Costellos Worte über Helena gingen ihm nicht mehr aus dem Sinn. »Warum hast du Peters Zeichnung in den Müll geworfen?«, fragte er plötzlich.
»Was habe ich getan?«, fragte sie zurück und wandte sich ihm zu.
»Ich habe seine Zeichnung in deiner Mülltonne gefunden. Sie lag ganz oben auf und war mit Kaffeesatz und Kartoffelschalen zugedeckt. Warum hast du das gemacht?«
Helena hob langsam den Kopf vom Kissen. »Habe ich nicht, Colin. Das war bestimmt meine Putzfrau.« Sie legte ihre Hand in seine; sie war dünn wie die eines Skeletts und kalt, nicht mehr die liebevolle Hand, die ihn auf ihrer Haustreppe gestreichelt hatte. »Colin? Das würde ich nie tun. Deine Kinder bedeuten mir doch etwas. Ich bin ihre Tante Helena. Warum fragst du mich das überhaupt?«
Colin erwiderte nichts.
»Bestimmt hat Peter sein Bild auf meinem Schreibtisch liegen lassen, aber Harriet könnte es weggenommen haben …« Sie zuckte die Schultern. »Colin, deine Kinder sind die einzigen in meinem Leben. Du weißt, ich würde Peters Bild nie wegwerfen.«
»Nein«, sagte Colin leise. »Natürlich nicht.«
Helena ließ den Kopf wieder aufs Kissen sinken und blickte zur Decke.
Die Gruppe der Besucher am gegenüberliegenden Bett lachte lauthals. Helena schien es gar nicht zu hören.
»Ich habe mein Testament geändert, ehe ich ins Krankenhaus gegangen bin.«
»Ja?«
»Ich hinterlasse Claire und Peter ein bisschen Geld, nur ein kleines bisschen, für ihre Ausbildung oder für ein kleines Auto, wenn sie alt genug sind. Für irgendetwas. Und ganz sicher werden beide in den Genuss kommen. Peter muss doch irgendwo stecken.«
Colin konnte sich nicht überwinden zu sagen: Ich kann dir nicht so richtig glauben.
Helena fuhr fort: »Ich möchte dich bitten, etwas für mich zu tun.«
»Tut mir leid, aber ich werde nichts anderes tun, außer in die Wache zurückkehren und weiter nach Peter suchen.«
»Du bist völlig erschöpft, Colin, und so bist du niemandem von Nutzen. Ich möchte, dass du zu mir nach Hause gehst. Die Schlüssel sind hier in der Schublade. Nimm eine Dusche, trink eine Tasse Kaffee, und in der Tiefkühltruhe gibt es auch noch etwas zu essen. Und vergiss nicht, Peters Goldfisch zu füttern. Ich habe die Heizung angelassen. Leg dich ein bisschen aufs Sofa und denk nach, so wie Alan es immer getan hat. Bei ihm hat es funktioniert. Vielleicht auch bei dir.« Sie sah ihm in die Augen. »Und du kannst das Haus durchsuchen, wenn du möchtest. Ich würde dir daraus keinen Vorwurf machen.« Und damit kehrte sie ihm den Rücken zu.
Es gibt wohl nur wenige Orte, die mehr Hoffnungslosigkeit und
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