Sein eigen Fleisch und Blut: Thriller (German Edition)
die Bilder seiner Kinder auf dem Kaminsims, Peter mit den fehlenden Schneidezähnen, Claire mit der Ponyfrisur, die ihr Sommersprossengesicht einrahmte. Äußerlich ähnelte sie Brenda, doch hatte sie seine unerschütterliche Beharrlichkeit geerbt. Peter war eher sprunghaft und unkonzentriert, sah aus wie der Vater und kam charakterlich ganz nach seiner Mutter.
Es ging auf zehn zu, und er fragte sich, wo Brenda wohl den Abend verbrachte und mit wem. Sie hatte nur vage »die Mädels« angegeben. In letzter Zeit war sie häufig ausgegangen, mit Freunden aus der Eltern-Lehrer-Vertretung, Freundinnen aus der Sonntagsschule und Frauen, mit denen sie seit Peters Babyspielgruppe befreundet war.
Er schaltete das große Licht des Wohnzimmers aus, ließ sein schmutziges Geschirr auf dem Sofa neben dem von Brenda, Claire und Caroline, der Babysitterin, stehen und ging zur Treppe, wo er entschied, die Lampe für Brenda brennen zu lassen.
Von oben hörte er ein eigenartiges Schnaufen und Pfeifen. Peter ahmte wohl die kleine blaue Lokomotive nach. Zumindest war es mal eine Abwechslung von Puff, dem verdammten Drachen.
Aber Peter lag in seinem halbhohen Bett, schlief wie ein Toter und reckte dabei den Po in die Luft. Sein Pyjama ließ eine Menge Haut frei. Das Geräusch kam aus Claires Zimmer. Er schlich hinein. Seine Tochter lag mit rotem Gesicht und glasigen Augen schweißgebadet da und umklammerte ihre Kehle. Sie schnappte nach Luft.
Sie sagten, der Krankenwagen würde mindestens eine Viertelstunde brauchen, und Colin Anderson wusste, das schaffte er schneller. Gott, aus dem Garten konnte er das Southern General sehen.
Am Eingang zur Notambulanz ließ er den Wagen stehen und trug Claire in eine Decke gewickelt auf den Armen durch den Schneeregen zu den Schiebetüren. Ihr Kopf rollte hin und her. Er versuchte, möglichst gleichmäßig zu gehen, doch Peter, der vor Angst weinte, krallte sich an sein Hosenbein. Colin blickte sich um und wartete, bis sich seine Augen an das helle Licht gewöhnt hatten. Sie hatten gesagt, sie würden ihn erwarten, doch vor der Anmeldung stand eine lange Reihe.
Claire war inzwischen bewusstlos, die Augen hatte sie verdreht, und sie war völlig erschlafft. Anderson schlängelte sich an der Reihe vorbei und trug seine Tochter durch eine ganze Gruppe Betrunkener hindurch, die lautstark verlangten, man solle ihre unspektakulären Schnitte und Schrammen versorgen. Er hatte sich schon im Wagen dabei erwischt, wie er vor sich hin murmelte: »Atme weiter, atme weiter.« Und das wiederholte er immer noch.
Und tatsächlich, sie erwarteten ihn. Die Tür zum Untersuchungsraum wurde ihm von einer Ärztin aufgehalten, die kaum älter wirkte als seine Tochter. »Tut mir leid wegen dieses Auflaufs da draußen«, sagte sie. »Feiertage. Für uns kein Grund zum Feiern.« Sie tätschelte das Bett. »Könnten Sie die Kleine bitte hier ablegen, Colin?« Aber er konnte nicht; sein Gehirn hörte nur halb zu, und er konnte sie nicht loslassen.
»Wie alt war Claire doch gleich?«, fragte die Ärztin und entrang sie sanft den Armen ihres Vaters.
»Neun«, greinte Peter. »Ich bin fünf.« Anderson nickte zustimmend.
»Ihr seid aber beide groß für euer Alter, nicht?«, meinte die Ärztin und nahm das Stethoskop von ihrem Hals. Sie wandte sich an Anderson. »Haben sie das von Ihnen?«
Colin wusste, was die Ärztin bezweckte – sie bediente sich der gleichen Technik wie Costello: Einfach nur immer weiterreden, und irgendwann antworten sie schon.
»Hat sie über Halsschmerzen geklagt?« Die Ärztin öffnete Claires Mund und drückte die Zunge nach unten. Eine Schwester hielt ihr den Kopf. Mit dem in Latex gehüllten Daumen zog die Ärztin sanft die Lider herunter und sah dem Mädchen mit einem Ophthalmoskop in die Augen.
»Ja, sie bekommt Antibiotika.«
»Seit wann?« Die Ärztin tastete die Drüsen am Hals und die Haut unter dem Kinn ab. »Immer noch stark geschwollen. War sie teilnahmslos? Hat sie darüber geklagt, dass ihr heiß ist?«
Anderson zuckte mit den Schultern und seufzte. »Tut mir leid, ich war nicht da, ich meine, ich bin erst spät nach Hause gekommen. Ich weiß es nicht.«
»Hm-mm, wann hat sie denn mit den Antibiotika angefangen?«
»Um acht Uhr … nein, ein bisschen später.«
»Heute Morgen? Oder abends?«
»Heute Abend.«
»Und das war das erste Mal? Aber sie war beim Hausarzt, ja? Gestern? Vorgestern?«
Colin gestand: »Gestern.«
»Es gab also eine Verzögerung dabei, die
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