Sein eigen Fleisch und Blut: Thriller (German Edition)
später lehnte er noch immer im Halbdunkel an dem Sofa. Die leeren Essensschachteln waren auf dem Boden neben den schmutzigen Tellern gestapelt, und eine leere Rotweinflasche war bis zum Kamin gerollt. Frances, die ihre nasse Kleidung gegen einen Frottee-Morgenmantel getauscht hatte, lag hinter ihm auf dem Sofa, hatte die langen Arme halb um ihn gelegt und streichelte Yoko, die leise wie der Motor eines Aston Martin schnurrte.
Vik wurde aus Frances einfach nicht schlau, da gab es so viele Widersprüche. So viel Liebe zum Detail und zu guter Musik, und dabei lebte sie in einer Wohnung mit einer Küche aus der Steinzeit. Sie war eine attraktive Frau, eine sehr schöne Frau, und trotzdem interessierte sie sich kaum für ihre Kleidung. Sie war klug und belesen, aber sie arbeitete nicht. Sie schien auch kein Geld zu brauchen. Und abgesehen von der Katze auch keine Gesellschaft. Dennoch wirkte sie auf ihn wie eine Sauerstoffdusche.
»War das die Wohnung deiner Mutter?«, fragte er.
Frances lächelte halb und legte ihm die Hand auf die Schulter. Eine Berührung. So sinnlich. Doch eine Antwort bekam er nicht.
»Du hast sie also gekauft?«, hakte Vik nach. Er hatte gewusst, die Wohnung war groß, aber er hatte keine Ahnung gehabt, dass sie die gleiche Fläche hatte wie die beiden Wohnungen über ihr zusammen. »Die ist doch viel zu groß, um sie sich allein zu kaufen.«
»Ich habe sie von jemandem geerbt«, sagte sie. »Na ja, kann man von jemandem erben, der noch nicht tot ist?«
»Ist ja eine riesige Wohnung für eine Person.«
»Ich habe niemanden, mit dem ich sie teilen könnte.« Und damit war das Gespräch beendet.
Er schloss die Augen wieder, nur für ein paar Minuten, und atmete Patschuli ein. Als er sich zu ihr umdrehte, war sie eingenickt.
Er schob sich herum und betrachtete das schwache Lächeln auf den Lippen, während sie schlief. Der Schlaf hatte den Schmerz aus ihrer Miene verscheucht, und sie wirkte jünger. Sie hatte das Lächeln beinahe verlernt, dachte er, das Lächeln und das Lachen. Dieses wunderbare Lächeln erhellte ihr ernstes Gesicht viel zu selten. Die Blumen – er warf einen Blick hinüber zu ihnen – hatten es kurz hervorgelockt, und die Erinnerung daran wärmte ihn innerlich. Eines Tages, das versprach er sich, würde er ihr Geheimnis erfahren.
Er beugte sich vor und wollte sie küssen. Sie schlug die Augen auf. »Zeit fürs Bett?«, flüsterte er. Sie strich ihm durch das Haar und nickte schläfrig.
Er lächelte. Während er aufstand, fiel ihm auf, dass er nicht ein einziges Mal an die Flecken auf dem Teppich gedacht hatte oder daran, dass er die Katze angefasst und sich anschließend nicht die Hände gewaschen hatte. Auch hatte er den ganzen Abend über nicht an Luca Scott oder Troy McEwen gedacht. Er nahm ihre Hand, liebkoste ihre Finger und zog Frances sanft auf die Beine.
Auf dem Display ihres Handys hatte ein kleines Symbol geblinkt, und Lynne hatte die Mailbox abgerufen, wobei sie sich bemühte, die weißen Ränder ihrer frischen French Manicure nicht zu verkratzen. Die Nachricht war um 19 Uhr 50 eingegangen. Douglas klang verführerisch, aber auch verstohlen, und er sprach schnell, ehe jemand kam, der ihn hören konnte.
»Tut mir leid, Schatz, ich schaffe es heute Abend nicht. Eleanor fühlt sich nicht sehr gut …«
Lynne hatte das Telefon zugeklappt.
Aber sie hatte sich schon für den Abend zurechtgemacht und trug ein schlichtes graues Kaschmirkleid, ein Geschenk von Douglas. Sie hatte sich vor dem Spiegel hin und her gedreht; die weiche Wolle saß eng an ihrem Körper und verlieh ihrer mageren Figur ein bisschen Kontur. Sie war elegant, farblos, beinahe geisterhaft. Sie hatte sich überhaupt nicht verändert seit diesem Tag, an dem sie Douglas im Gericht kennengelernt hatte. Er hatte seinen Designeranzug getragen, sie einen schwarzen Mantel. Eve war aus dem Krankenbett zum Gericht gekommen, in den Verbänden von den Operationen und noch immer von Schmerzen geplagt. Mitten in der Verhandlung hatte sie sich auf Lynnes Mantel übergeben, und Douglas hatte es gesehen und war verlegen an ihr vorbeigeeilt. Später hatte er sich dafür entschuldigt. Bei einem Earl Grey.
Douglas, Earl Grey, Designeranzüge. Auf gar keinen Fall konnte sie den Abend jetzt zu Hause in ihrem Wohnzimmer verbringen, wo Eve breitbeinig in ihrem Rollstuhl saß und Schokolade in sich hineinstopfte, als gehe es um eine olympische Medaille, sich die Nase mit dem Ärmel abputzte und ständig den
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