Sein eigen Fleisch und Blut: Thriller (German Edition)
er hätte auch für sich selbst Pommes aus dem Hungry Gorilla mitgebracht. Auf einem Kabelsender fand er Nachrichten; Bilder aus den Ruinen, die das Erdbeben in Pakistan hinterlassen hatte, Zelte und Menschen, die in Schlangen nach Hilfsgütern anstanden. Darauf folgte eine Burg in Schottland, die Anderson nicht erkannte, aber Rogan O’Neill wollte sie kaufen. Das interessierte ihn, und er stellte die Lautstärke höher. »Und Glasgows großer Sohn Rogan O’Neill hat gerade seinen Hit ›Tambourine Girl‹ als Single neu veröffentlicht, und zwar zugunsten der Aktion ›Spenden für Andy‹«, verkündete die aufdringlich fröhliche Sprecherstimme. »Wenn Ihnen also noch etwas fehlt, mit dem Sie die Weihnachtssocke Ihrer Herzensdame füllen können … ›Tambourine Girl‹. Es ist doch das Fest der Liebe, und es dient einem guten Zweck …«
»Muss wohl so sein«, murmelte Colin, zog ein Stück zerlaufenen Käse mit den Zähnen vom Toast, stellte die Nachrichten auf stumm und schlug die Polizeiakte auf.
Zwei Minuten lesen genügte: Luca – nichts. Troy – nichts.
Anderson war deprimiert. Es war ihm alles zu sehr vertraut. Die Streifenbeamten hatten eine Niete gezogen, die Sozialarbeiter schoben sich mal wieder gegenseitig die Schuld zu, und auf dem Brachland bei Maryhill stand morgen früh eine Suchaktion an. Aber so weit hätten die Jungen nicht ungesehen laufen können. Das bedeutete, dass DCI Quinn jetzt auch nach einer Leiche suchen ließ oder sogar nach zwei. Warum ließ sie die Katze nicht aus dem Sack und verkündete es offen? Er betrachtete die beiden schlecht fotokopierten Bilder der Jungen, deren Gesichter einander sehr ähnlich sahen. Ja, der Hauptunterschied lag in den undeutlichen Umrissen, die Troys goldenen Ohrstecker darstellten. Anderson wusste, der alte DCI hätte ordentliche Farbabzüge verlangt. Er las die Aussagen nochmals und machte sich Notizen; alles passte mit dem zusammen, was sie bereits wussten. Schließlich las er die Aussage der Frau mit dem Hund zum zweiten Mal, wie hieß sie noch, Mrs. … er suchte den Namen … Moxham? Sie hatte bei der Befragung in der Nachbarschaft gegenüber einem Beamten in Uniform eine Aussage gemacht und später noch einmal bei Mulholland. Er schaute sich Mulhollands Notizen genau an und achtete auf jedes Wort – er tauchte nicht auf. Er tauchte nicht auf. Sie , im Plural, tauchten in Constable – Whittakers? – Notizen nicht auf. Das bedeutete: Mrs. Moxham hatte Troy gesehen, als sie in den Park gegangen war, nicht aber auf dem Rückweg. Alison McEwen saß zusammengesunken auf der Parkbank, allein . Das wurde später in Mulhollands Bericht bestätigt. Und obwohl er manchmal nicht ganz strategisch vorging, verfasste Mulholland seine Berichte für gewöhnlich mit gebotener Gründlichkeit. Anderson war geneigt, sich auch hier auf ihn zu verlassen. Demnach konnten sie sich also auf ein kleines Zeitfenster konzentrieren, konnten die Aufnahmen der Überwachungskamera vergrößern, sie konnten auch hier auf Lewis’ Idee zurückgreifen und eine zeitgenaue Rekonstruktion vornehmen und so abermals die Aufmerksamkeit der Medien auf sich lenken. Gähnend nahm er sich vor, die Zeugin anzurufen und ganz sicherzugehen. Wenn man will, dass etwas ordentlich erledigt wird, sagte er sich, muss man es selbst tun.
Er las die Notizen, die Littlewood beigesteuert hatte. Es war nicht bekannt, ob in letzter Zeit Pädophile in der Gegend aktiv geworden waren. Keiner der üblichen Verdächtigen befand sich auf Hafturlaub für die Feiertage – also keiner, den Littlewood und seine ehemaligen Kollegen als Bedrohung ansahen. Die alten Bekannten hatte man befragt, reine Routinesache. Von denen hatte sich keiner verdächtig benommen, und alle hatten ein Alibi. Dann fiel Anderson die erschreckende, mit schwarzem Kugelschreiber hinzugefügte Bemerkung von Littlewood auf: Jemand Neues in der Szene? Jemand, der aus dem Nichts aufgetaucht war? Anderson betete, sein Kollege möge falschliegen. Er fragte sich, ob er, wenn es dazu käme, in der Lage wäre, einen Perversen unter Druck zu setzen, bis der auspackte – was auch immer er zu erzählen hatte. Dann erinnerte er sich: Das war der Grund, aus dem Littlewood zum Sergeant zurückgestuft worden war, weil er einen Verdächtigen verprügelt hatte. Na, Glückwunsch. Colin glaubte, nicht die Nerven dafür zu haben; seine Pension bedeutete ihm zu viel, um sich wegen einer Disziplinarangelegenheit feuern zu lassen.
Er betrachtete
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