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Sein eigen Fleisch und Blut: Thriller (German Edition)

Sein eigen Fleisch und Blut: Thriller (German Edition)

Titel: Sein eigen Fleisch und Blut: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caro Ramsay
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zu Tode gelangweilt hatte.
    Sie kannte sich gut genug mit Menschen aus, um zu bemerken, dass diese Farrell, die einen Goldfisch in einer Tüte hielt, es auf diesen großen Blonden mit den zwei Kindern abgesehen hatte. Wie die kleinere, plumpe Rothaarige da ins Bild passte, war ihr bislang entgangen, aber sie stritt sich mit dem Blonden, als wären sie verheiratet. Er sah aus wie ein Cop. Und dieser Johnny-Depp-Typ auch, der immer diese langhaarige Hippiebraut küsste. Eve beugte sich in ihrem Sitz vor und betrachtete das Mädchen genauer. Na, die hatte ein Gesicht, das sich zu malen lohnte, mit den langen Knochen und den tiefliegenden braunen Augen. Sie schien nie die Miene zu verziehen, obwohl Eve ein etwas milderer Ausdruck auffiel, wann immer sie den Johnny-Depp-Verschnitt ansah. Aber als sie mit dem kleinen blonden Jungen, der den Goldfisch hatte, Backe-backe-Kuchen zu spielen anfing – das hatte Eve seit ihrer Kindheit nicht mehr gesehen –, schmolz die aristokratische Maske. Die hätte ein wunderbares Gemälde abgegeben. Die Hippiebraut drehte sich um und blickte geradewegs zwei Fuß über Eves Kopf hinweg. Eve hatte das Gefühl, sie zu kennen, wusste jedoch nicht, woher.
    Sie saß eine Zeitlang da und beobachtete ihre Schwester und Helena Farrell, die sich zu weiteren Fotos aufstellten. Ein wenig schob sie ihren Stuhl zur Seite und schaute sich um, ob sie irgendwen hier kannte, irgendjemanden, den sie um Hilfe auf der Suche nach den Toiletten fragen konnte. Sie wusste, es galt jetzt oder nie. Daher entschied sie, zu dem blonden Polizisten mit den Kindern zu rollen und ihn um Hilfe zu bitten. Sie musste bremsen, weil eine Menschentraube vorbeitrampelte und einfach überhaupt nicht auf sie achtete. Nun blieb sie an einem Fenster stehen und schaute nach draußen. Auf dem Parkplatz gingen langsam die Lichter an. Sie lächelte in sich hinein und sah auf die Uhr. Der Basar dauerte ewig. Es war zehn nach vier.
    Die Gesichter der Kinder, die gerade den letzten Refrain von »Oh, Come, All Ye Faithful« sangen, leuchteten im Glanz von hundert Kerzen, und die letzte Schuhschachtel wurde auf den Laster geladen. Begleitet von dem Surren der Kameras und einem mittelprächtigen Blitzlichtgewitter stieg Rogan in die Kabine, und ein einsamer Dudelsackpfeifer spielte den Refrain von »Auld Lang Syne«. Die Kerzen flackerten im Wind, dann endete die Dudelsackmelodie, und ein Countdown wurde heruntergezählt. Kein Auge auf der Straße blieb trocken, als Rogan O’Neill schließlich den Motor des 18-Tonners startete. Langsam und fast unmerklich schob sich das riesige Fahrzeug vorwärts, und Rogan lenkte ihn mindestens volle fünf Meter Richtung Pakistan.
    Helena drückte sich ein Taschentuch vors Gesicht, da ihr die Tränen aus den Augen rannen. Sie betrachtete Peters Goldfisch, der reglos in der Plastiktüte lag. Das einzige Lebenszeichen war ein gemächliches Öffnen und Schließen des Maules. Sie wickelte ihren Schal um den Beutel – hier draußen könnte das arme Tierchen sonst ja erfrieren – und drückte sich das Bündel vorsichtig an die Brust. Sie würde ihn schon sicher nach Hause bringen. Auf der Straße herrschte gute Laune, alle waren so fröhlich und großzügig, dass es ihr Herz ergriff. Das war der wahre Sinn von Weihnachten. Sie sah auf ihre Armbanduhr. Bevor sie heute Abend ausging, musste sie im Krankenhaus anrufen, um sich zu vergewissern, ob alles seinen Lauf nahm. Aber im Augenblick wollte sie unter Menschen sein, und wer konnte dazu in der Weihnachtszeit besser geeignet sein als Kinder? Sie zog sich aus der Menschenmenge zurück und lehnte sich an eine Mauer auf dem Schulhofspielplatz, ein wenig abseits, doch an einer Stelle, von der sie alles beobachten konnte. Die Kinder winkten – mit Kerzen und Girlanden, mit Schals und Squidgys, während der Lastwagen davonfuhr, jetzt vom eigentlichen Fahrer gesteuert, und alle jubelten.
    Helena sah Vik Mulholland, der mit Costello sprach; seine Körpersprache drückte Streitlust aus. Der kleine Peter Anderson lief zwischen ihnen herum, malträtierte seinen Pu-der-Bär-Rucksack mit dem Knie und hauchte Atemwolken in die Luft. Beim Laufen sang er »Puff the Magic Dragon«, das Lied, das den Höhepunkt des Krippenspiels gebildet hatte. Peter wusste genau, dass es seine Eltern nicht interessiert hatte, ihm zuzuhören, und jetzt drehte er auf und verlangte nach Aufmerksamkeit. Dann entdeckte sie Colin, der zu Mulholland ging und ernst mit ihm redete. Colin zeigte

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