Sein erster Fall
denken.«
»Bravo! Schneidiger Mann! Nun setzen Sie sich schön hin, und lassen Sie mich erst mal ruhig lesen.«
Er griff nach den Papieren, überflog die Ladung und las dann die Scheidungsklage mit der emsigen Gründlichkeit des Laien, der mit Schriftsätzen nicht vertraut ist und sich mühsam durch all die vielen Indessen, Dieserhalb und sonstigen Floskeln hindurchrackern muß. Als er fertig war, faltete er die Papiere zusammen und gab sie mir wieder. Er schloß die Augen nachdenklich. »Sie will also gerichtlich die Verwaltung aller Safes für sich durchsetzen, nicht wahr?«
»Ich weiß nicht mehr, als was in den Papieren steht«, erwiderte ich. »Sie haben sie jetzt ja selbst gelesen und wissen genau soviel wie ich.«
»Sie sind ein ganz gerissener Bursche, hören Sie mal!«
»Wieso? Ich habe die Papiere zuzustellen, sonst nichts. Fragen Sie doch Ihre Schwester, wenn Sie wissen wollen, was sie vorhat.«
»Keine Sorge!« sagte er grimmig.
»Wissen Sie, wo ihr Mann ist?« fragte ich ihn.
»Ich kenne Morgans Freundin«, antwortete er leichthin, »ein sehr nettes Mädchen übrigens.«
»Mrs. Birks hätte sie mit hineinziehen können«, bemerkte ich, »sie hat aber darauf verzichtet.«
Er brach in ein wenig angenehmes Lachen aus. »Das wäre noch schöner, auch noch andere hineinzuziehen!« sagte er. »Sie scheinen nicht viel von Frauen zu verstehen, daß Sie Sandra nicht sofort durchschaut haben.«
Er mußte seine Schwester ja kennen; also hielt ich den Mund.
»Sie brauchen nur zehn Minuten mit ihr allein im Zimmer zu sein, schon wirft sie sich Ihnen an den Hals... Sie brauchen gar Kein so entsetztes Gesicht zu machen!«
»Ich bin nicht entsetzt.«
»Also, ich warne Sie! Unsere Familie ist sehr unbürgerlich. Ihr mache ich schon mal gar keinen Vorwurf. Sie lebt ihr Leben, und ich lebe meins. Aber sie ist ein ganz geriebenes, egoistisches und intrigantes Biest. Sie hat nicht mehr Moral als eine Tigerin. Sie sieht verdammt gut aus, sie ist äußerst helle - und benutzt das meist nur dazu, ihre Wünsche zu befriedigen. Aber wozu erzähle ich Ihnen das nur alles! Sagen Sie ihr, sie soll ’reinkommen.«
Ich ging an die Tür und rief: »Mrs. Birks, Ihr Bruder möchte Sie sprechen.«
»Soll ich mich zurückziehen?« fragte ich dann.
»Im Gegenteil, bleiben Sie ja hier!«
Ich ging zum Bett hinüber. Sandra Birks kam herein und fragte ihren Bruder besorgt: »Was ist, Bleatie? Fühlst du dich jetzt besser? Der Arzt hat diese Tabletten hiergelassen, falls du nervös werden solltest und...«
»Hör auf mit dem verdammten Geschmuse!« antwortete Bleatie. »Immer, wenn du was willst, tust du so besorgt. Ich bin dein Bruder, ich kenne dich in- und auswendig. Ich weiß es genau, du willst nur den Namen von Morgans Freundin aus mir ’rauskriegen. Du willst Morgan fassen und deine Scheidung durchsetzen. Du willst frei sein, damit du deinen neuesten Schwarm heiraten kannst... wen denn...? Etwa diesen jungen Schnösel von einem Arzt? Ich habe den Knaben sowieso schwer im Verdacht...«
»Bleatie!« rief sie. »Nicht doch!« Sie warf einen besorgten Blick in meine Richtung. »Du darfst nicht so reden. Du hast einen bösen Schock hinter dir, und du bist aufgeregt. Du...«
»Aufgeregt, Quatsch!« unterbrach er sie. »Jedesmal, wenn du einen Mann nicht um den Finger wickeln kannst, heißt es, er ist aufgeregt und nicht er selbst... Also meinetwegen...! Jetzt hör aber mal zu, Sandra, wir werden jetzt mal Klarheit schaffen zwischen uns. Du bist meine Schwester, und ich will gern loyal sein. Aber schließlich ist Morgan Birks auch mein Freund. Nur weil er jetzt mal in der Patsche sitzt, brauchst du nicht gleich mit beiden Füßen auf ihm ’rumzutrampeln.«
»Wer trampelt denn auf ihm ’rum?« versetzte sie, und ihre Augen blitzten. »Ich habe in der Scheidungsklage so viel Rücksicht auf ihn genommen. Mein Gott, hätte ich auspacken können!«
»Hättest ja gar nichts davon gehabt«, sagte Bleatie. »Überleg doch nur, was Morgan von dir alles hätte erzählen können. Geh doch mal in dich! Bei dir dreht sich’s immer nur um deine Affären. Ich kriege die Nase eingedrückt, und schon mußt du deinen Freund in die Sache ’reinzerren, will sagen, einen von deinen vielen Freunden, und ihn auf mich loslassen. Dieser Grünschnabel ist ja überhaupt noch nicht trocken hinter den Ohren, und du schleppst ihn hier an...«
»Hör auf, Bleatie! Archie Holoman ist ein feiner Kerl, Morgan kennt ihn. Er ist lediglich ein Freund
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