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Sein letzter Burgunder

Sein letzter Burgunder

Titel: Sein letzter Burgunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grote
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geschafft hatte, andere bewunderten ihn, und diejenigen, denen das völlig schnuppe war, waren Henry die liebsten.
     
    Oliver Koch kam mit gezielten Schritten durch die Hotelhalle auf sie zu: angespannt, den Kopf im Nacken, herablassend der Blick aus dunklen Augen, lauernd die anderen betrachtend, indiskret eindringend und gleichzeitig für sie verschlossen. Er schien sich nicht auf die Reise zu freuen. Kellereien zu besuchen und Weine zu probieren war eine harte Aufgabe, eine Pflicht, der man sich in seiner Position unterziehen musste, und er schätzte es anscheinend auch nicht, mit interessanten Kollegen im Gebirge der südlichen Mittelmeerküste Winzer zu treffen. Bei Weinfabriken, wie Henry die Großproduzenten bekannter spanischer Marken nannte, hätte er diese Haltung verstehen können. Aber sie waren unterwegs zu Winzern, um sich anzusehen, was diese mit Herz und Sachverstand und auch Pioniergeist so auf die Flaschen brachten. Kochs Blick zeigte, dass er einer harten und schweren Pflicht entgegensah. Seine Augen lagen tief in den Höhlen, ließen seinen Blick brennen.
    Vier Tage würden sie zusammen reisen, dann würde Henry wissen, was da brannte. Dieser Blick ließ ihn auf der Hut sein. Koch hätte Araber sein können, einer jener historischen Assassinen, Fundamentalisten des arabischen Mittelalters, die für einen politischen Mord gerne mit dem Leben bezahlten, weil ihnen dann das Paradies offen stand.
    Koch war ein hagerer Typ mit schwarzen Locken, mager mit hervorstechenden Gesichtsknochen, einer großen Nase, was bei seinem Beruf als Weinjournalist sicher ein Vorteil war. Aber die schmalen Lippen hoben den Vorteil wieder auf, denn Henry fragte sich, wie man ohne die Fähigkeit zum Genießen den Genuss beurteilen wollte. Jede Regung an diesem Mann, der die vierzig erreicht haben musste, wirkte kontrolliert, jeder seiner Blicke zog seine Bewertung nach sich, und es würde kaum jemanden unter ihnen geben, der vor ihm Bestand haben würde.
    Er begrüßte alle mit Handschlag. Seine Kollegin aus demHeckler-Verlag, Marion Dörner, bekam ein Kopfnicken mit einem angerissenen Lächeln.
    »Und Sie sind   – dieser Spanienexperte, die Goldnase, wie man mir berichtet hat?«
    Oh, Koch war so wichtig, dass ihm »berichtet« wurde? Henry legte sein verbindlichstes Lächeln auf. »Genau, der bin ich. Exakt, Herr Koch, Nariz de Oro, wie wir das in Spanien nennen.«
    Koch war allem Anschein nach auf Krawall gebürstet, er brauchte jemanden, den er übertrumpfen konnte.
    »Da bin ich ja mal gespannt, wie wir die Weine auf der Reise bewerten, Sie   – mit diesem   – na sagen wir mal familiär-spanischen Hintergrund. Könnte es sein, dass Ihnen dabei die nötige Neutralität, die in unserem Beruf geboten ist, verloren geht?«
    »Interessanter Blickwinkel«, sagte Henry mit einem Lächeln und einem Seitenblick auf Hecklers Kollegin Dörner, »aber bei welcher Bewertung lässt sich das eigene Interesse völlig ausschalten?« Er wusste, dass Koch seine Retourkutsche richtig zu deuten wusste. Der Heckler-Verlag bewertete Weine in seiner Zeitschrift Marktplatz Wein und finanzierte sich über Anzeigen eben auch jener Kellereien. Wollte man objektiv sein, verlor man Kunden, war man parteiisch, verlor man seine Glaubwürdigkeit. Es war ein Eiertanz.
    Koch machte ein wichtiges Gesicht. »Wer das Verkosten professionell betreibt, versteht, den eigenen Geschmack außen vor zu lassen.«
    Sie wurden von Rudolph Schneider unterbrochen, der die Reise im Auftrag des spanischen Handelsministeriums organisiert hatte, und aufgefordert, endlich den Bus vor dem Portal des Hotels zu besteigen. »Sie können diese sicher sehr interessante Debatte unterwegs fortsetzen   …«
    Die Koffer wurden verstaut, jeder suchte sich in dem Kleinbus einen Platz. Enttäuscht sah Marion Dörner, wie sich Henry zu dem Kollegen setzte, der in Mainz bei derZeitschrift Wein & Terroir arbeitete, seinem früheren Arbeitgeber. Für ihn hatte er als Chefreporter gearbeitet bis er, nicht nur Isabellas wegen, nach Barcelona übersiedelt war, ein Entschluss, den er niemals bereut hatte. Aber mittlerweile wich er der Stadt aus, er war zufrieden, wenn er im Inland von Bodega zu Bodega unterwegs war und die Wochenenden mit Isabella in La Rioja verbrachte. Logroño war weniger anstrengend. In seiner Wohnung hielt er sich nur bei der Arbeit an seinem Newsletter VINOS IBERICOS auf und wenn er Freunde traf.
    Sie verließen Granada über die Schnellstraße in Richtung

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