Sein letzter Burgunder
mit dem Laptop stand daneben, Henry warf einen letzten Blick durchs Zimmer, sah das Telefon – und die Erleichterung wich schon wieder diesem Gefühl von Beklommenheit, das ihn die letzten Tage über begleitet hatte. Würden Ambers Mörder, jetzt da sie ihr Ziel erreicht hatten, ihn in Ruhe lassen, oder war er ihnen nach wie vor zu gefährlich? Er bat, dass jemand seinen Koffer abholte und zum Wagen in die Tiefgarage brächte, zahlte an der Rezeption, was er aus der Minibarentnommen hatte, und fragte ohne tiefere Absicht nach Frau Schönhals.
Sie habe frei, sagte der Rezeptionist. Nein, meinte eine Kollegin, die Henrys Frage mitbekommen hatte. Frau Schönhals habe einen Anruf bekommen, dass sie dringend nach Ihringen fahren sollte, wo ihre Mutter lebe, die sei plötzlich erkrankt. Ob er eine Nachricht hinterlassen wolle? Nein?
Wie gut, dass Henry sich für den Rest des Tages außerhalb des Ortes unter die Tannen des »Il Calice« in einen Liegestuhl zurückziehen und sein lädiertes Bein kühlen und hoch lagern konnte. In der Tiefgarage blickte er sich um und gestand sich ein, dass er nach einem großen schwarzen BMW suchte. Da standen drei. Während er sich in seinem Wagen einrichtete, irrte sein Blick ständig von einem zum anderen, obwohl er nicht glaubte, dass der Anschlag auf dieselbe Weise wiederholt würde. Zu seiner Erleichterung tat sich nichts.
Die strahlende Sonne draußen ließ ihn aufatmen. An der Hauptstraße bog er rechts ab, hielt an der Ampel vor dem Tunnel, und beim Anblick des berühmten Lichts am Ende der Röhre rasten die Ereignisse der letzten Tage an ihm vorbei. Er begriff sie als Knäuel unentwirrbarer Ereignisse, als eine Flut von Bildern, einen Wust positiver, negativer und undefinierbarer Gefühle einer Vielzahl von Menschen gegenüber. Er war mit großen Erwartungen an eine illustre internationale Gemeinschaft aufgebrochen, leider waren die guten Eindrücke von Gewalt, Erpressung und Verdächtigungen überlagert worden. Man hatte ihm übel mitgespielt. Sicher, es wäre anders gelaufen, hätte er diesem Politiker gegenüber den Mund gehalten und wäre einfach aufgestanden und wortlos gegangen. Es wäre anders gelaufen, wenn er beim Roulette nicht gewonnen hätte, es wäre anders gelaufen, wenn er in Spanien geblieben wäre. Es wäre anders gelaufen, wenn der Hund nicht gesch…
Das Beste an der ganzen Sache war, dass sich die Freundschaft zu Frank entwickelte. Und auch Antonia Vanzetti war ein interessanter und angenehmer Mensch. Nur dass sie sich dauernd von diesen Winzern hatte belatschern lassen, hatte für Distanz gesorgt. Was zwischen denen und der Schönhals lief, konnte ihm egal sein. Neureuther sollte sich darum kümmern.
Die Einladung, mit Isabella eine Woche auf Antonias Weingut zu verbringen, hatte er gerne angenommen – und mit dem Gedanken an Ferien in der Toskana fuhr Henry wieder auf die Autobahn. Er brauchte jetzt nur geradeaus zu fahren, quer durch die Schweiz, über den Brenner, an Verona und Bologna vorbei … es wäre zu schön. Nein, er sollte nach Basel fahren und dort die nächste Maschine nach Bilbao nehmen, dann wäre er drei Stunden später bei Isabella.
Die Sonne schien, der Verkehr rollte, zumindest für heute hatte Henry keine Verpflichtungen mehr, erst für morgen um neun Uhr war er mit einem Winzer in Endingen verabredet, und als die sanfte Höhenlinie des Kaiserstuhls aus dem Dunst auftauchte, fühlte Henry sich unendlich erleichtert. Die Ausfahrt war bekannt, hinter Riegel bog er richtig ab, für eine Weile fuhr die Kaiserstuhlbahn neben ihm her, und Henry dachte daran, wie schön es wäre, mit ihr dieses grandiose und gleichzeitig familiär wirkende Massiv zu umrunden, ganz in Ruhe, ohne Winzerbesuche, ohne sich nach jedem Weinstock umzudrehen und bei jedem Schritt nach einem Stein zu greifen, den der Winzer ihm erklärte. Ein Gläschen Wein durfte schon dabei sein, denn genossen hatte er in den letzten Tagen beim Probieren wenig.
Als er auf den Parkplatz des »Il Calice« einbog, sah er, dass nicht ein Platz mehr frei war, im Garten tobte ein Volksfest, die Stimmung war bombig, Freiburgs und Basels Schickeria war versammelt, unterstützt von einigen italienischen Juroren,die froh waren, der Anspannung und den Spekulationen über Ambers Mörder entkommen zu sein. Sie hatten Tische und Stühle zusammengerückt und feierten lautstark den Geburtstag einer der ihren. Entspannung war hier nicht zu erwarten. Sich in diesen Tumult
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