Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sein letzter Burgunder

Sein letzter Burgunder

Titel: Sein letzter Burgunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grote
Vom Netzwerk:
hineinzuwerfen war für Henry das Letzte, was er sich vorstellen konnte. Sein Bedarf an folgenschweren Begegnungen war gedeckt. Frank Gatow sah es ähnlich. Er war gerade erst aus Freiburg zurück, wohin er seine Frau zum Zug nach Basel gebracht hatte. Von dort aus fuhr sie mit dem Schlafwagen weiter nach Florenz.
    »Aber ein Kaffee muss sein, bevor wir das Weite suchen. Antonia ist zwar abgereist, aber diese Winzer, mit denen sie auch in Baden-Baden dauernd zusammenhockte, sind geblieben, leider.«
    Die beiden Männer traten ans Fenster und schauten hinunter in den Garten. Die Valianos, nicht ganz im Zentrum des Trubels, waren Henry zuwider, er würde ihnen aus dem Weg gehen. »Weshalb fahren sie nicht nach Hause? Wie lange bleiben sie?«
    »Scheint dich ja mächtig zu beunruhigen. Ich nehme an, sie ruhen sich von der Challenge aus, wie alle anderen auch. Bis runter nach Kalabrien haben sie eine lange Tour vor sich. Und sie sind mit den Wirtsleuten gut bekannt, wie mir Antonia erzählte. Die Chefin wollte auch gleich Antonia an ihre Brust drücken, aber sie lässt sich ungern umarmen, es müssen einem ja nicht alle sympathisch sein, auch wenn es Italiener sind, meinte sie, noch dazu, wenn es sich um Kunden handelt.«
    »Hat ihr Mann sich übers Wochenende noch weitere Körperteile abgeschnitten?«
    »Keine Ahnung, hoffentlich nicht. Er verstümmelt sich, weil er sich nicht traut, das Messer in die andere Richtung zu führen.«
    »Sagt das der Psychologe in dir?«
    »Bei seiner Frau kommt mir nur Marcello Mastroianni und seine ›Scheidung auf Italienisch‹ in den Sinn.«
    »Lass uns an den Rhein fahren, nach Breisach, ich brauche den beruhigenden Anblick von Wasser. Wenn ich schon nicht das Mittelmeer vor der Haustür habe, dann wenigstens einen Fluss. Wir könnten dort was essen. Jeder andere Laden ist ruhiger als dieser Garten der Lüste.«
    Gatow ging erfreut auf den Vorschlag ein.
    Die Wirtin kam in einem Schwall italienischer Redensarten auf sie zu, sie war erstaunt, Henry am Stock zu sehen. Erst blieb sie stehen, dann fasste sie ihn mitleidig am Arm, als wolle sie ihn führen. »Sie Ärmster, Sie hatten einen Unfall?«
    Du Schlange, dachte Henry und machte sich diskret los.
    »Wie gut, dass wir Ihr Zimmer noch nicht anderweitig vergeben haben.« Dann stimmte sie ein gewaltiges Lamento an, dass man ihre Küche verschmähe, sie betrachtete es quasi als persönliche Beleidigung, doch es war pures Theater, denn nicht ein einziger Platz, geschweige denn ein Tisch waren auf der Terrasse oder im Garten frei. Auch drinnen war alles besetzt.
    Auf diese Weise kam Henry in den Genuss, mit dem Lancia gefahren zu werden, was er beim regen Verkehr kaum genießen konnte, denn die Straßen waren verstopft, besonders in den engen Ortschaften, und vor Wasenweiler ging gar nichts mehr. Merkwürdigerweise kam ihnen kein einziges Fahrzeug entgegen.
    »Das kann nur heißen, dass sich irgendwo da vorn ein Unfall ereignet hat. Jetzt auf Umwegen oder über Oberbergen nach Breisach zu kommen, kann Stunden dauern, und ich kenne mich nicht aus. Ich schlage vor, wir wenden und fahren zurück.«
    Der Vorschlag war Henry auch recht. In der Kneipe, wo er Templin getroffen hatte und wo auch jeder Platz besetzt und für den Abend bereits reserviert war, bekamen sie denTipp, es in Bahlingen bei der Straußenwirtschaft »Auf dem Buck« zu versuchen, aber sie sollten sich beeilen, die sei oft sofort nach dem Öffnen überfüllt.
    Die Wirtschaft lag versteckt über dem Ort am Hang. Die beiden Männer mussten sich mit anderen einen Tisch teilen, zumindest hatten sie die Plätze am Geländer und damit einen grandiosen Ausblick auf den Schwarzwald, auf Freiburg und den östlichen Rand vom Tuniberg, wo wegen des kalkhaltigen Bodens charakterlich andere, aber ähnlich gute Weine wie am Kaiserstuhl wuchsen. Für die nächsten Tage hatte Henry dort einen Termin im Weingut Kalkbödele vereinbart, er wollte, wenn er denn schon mal hier war, auch an den Burgundern vom Kalkboden geschnuppert haben.
    Erst einmal schnupperten sie an der Wein- und Speisekarte. Bei den Weinen war alles klar, es musste ein Spätburgunder sein. Nur war die Frage, ob man sich für den ohne oder mit Barriqueausbau entschied. Von jedem konnte man ja eine halbe Flasche bestellen, beide waren von der DLG prämiert. Henry hielt die Prüfer dort für unabhängig und gewissenhaft. Beim Weinbauverband war er sich da nicht mehr so sicher. Helmar Schumacher, der Winzer, machte die Arbeit im

Weitere Kostenlose Bücher