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Sein letzter Trumpf

Titel: Sein letzter Trumpf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Zsolnay Verlag
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konnte sie in aller Ruhe im Vorbeifahren beobachten, bevor er sich an die Verfolgung machte.
    Aber heute nicht. Heute brauchte er sie nicht zu verfolgen. Heute wusste er, wohin sie wollten und was sie vorhatten und auch, wo sie hinterher mit dem Geld hinwollten. Und dort würde er, Ray Becker, sie in Empfang nehmen.
    Nur für alle Fälle, um ganz sicherzugehen, dass keiner von ihnen aus irgendeinem Grund zurückkam, wartete er noch eine volle Stunde in dem Pickup auf dem Agway-Parkplatz, bevor er sich endlich aufraffte, hinters Lenkrad rutschte und den Motor anließ. Fünf nach sieben. Der Agway schloss freitags erst um sieben, um noch die Wochenendgärtner und Do-it-yourself-Leute mitzunehmen. Das Maschendrahttor war nur noch halb offen, und Becker fuhr darum herum, winkte zum Abschied dem jungen Kerl mit Agway-Hemd und Agway-Mütze zu, der dort stand und darauf wartete, dass der letzte Kunde endlich wegfuhr, und der Junge nickte mit der Würde des Angestellten zurück. Dann bog Becker links ab und fuhr zu den Cottages hinunter.
    Es war das erste Mal, dass er diesen Weg entlangfuhr; allerdings war er schon einmal abends zu Fuß hinuntergegangen, um zu spionieren, wobei er dann aufpasste wie ein Schießhund, um keine Geräusche zu machen, die ihn hätten verraten können. Am Ende des Fahrwegs hatte er vier Häuschen gesehen, aber nur in einem davon hatte Licht gebrannt.Er hatte lange genug in die Fenster geschaut, um sich ein Bild davon machen zu können, wie diese Leute so lebten, und hatte überrascht festgestellt, dass die junge Frau allein zu schlafen schien. Zwei der drei Männer benutzten die anderen zwei Schlafzimmer, und der falsche Chauffeur kampierte auf dem Sofa im Wohnzimmer. Man sah Waffen in dem Haus und Landkarten, und das alles bestätigte ihm, was er ohnehin schon wusste: Howell hatte recht gehabt.
    Der Himmel war noch hell an diesem Freitagabend Ende Mai um kurz nach sieben; in der Abendsonne warfen die Bäume lange, scharf begrenzte schwarze Schatten, die aus dem Wald auf ihn zeigten. Ray Becker war wieder da. Während er auf die Häuschen zufuhr, stellte er sich Marshall Howell so vor, wie er ihn gesehen hatte – der sterbende Mann in dem kaputten Cadillac –, und er verzog das Gesicht, weil er wieder einmal diesen Stich der Verlegenheit und der Scham verspürte.
    Damals hatte er es um ein Haar endgültig vermasselt. Er hatte gewusst, dass der Mann in dem Cadillac verletzt und hilflos war, aber er hatte nicht im entferntesten geahnt, dass es so schlimm um ihn stand, dass er im Sterben lag.
    Das heißt, nein, nicht im Sterben, das wahrscheinlich nicht. Aber er war, wie sich herausstellte, sehr leicht umzubringen.
    Becker hatte in dem Moment sehr wenig Zeit gehabt. Er war der einzige anwesende Vertreter des Gesetzes, aber das konnte nicht so bleiben. Auch andere hatten die Funksprüche gehört und würden an den Schauplatz kommen, während die Bundespolizisten das andere Fahrzeug weiter verfolgten. Ray Becker, der sofort begriff, was das bedeutete, war in halsbrecherischem Tempo hingefahren, als der Funkspruch kam, weil mutmaßlich hundertvierzigtausend Dollar in dem Autowaren, und hundertvierzigtausend Dollar hätten Becker gerettet. Hundertvierzigtausend Dollar und sein Streifenwagen, und er konnte über alle Berge sein, bevor die auch nur merkten, dass er nicht mehr da war.
    Er hatte schon daran gedacht, als das Funkgerät zu quaken anfing, hatte daran gedacht, dass die Untersuchung immer näher rückte, dass die Detectives wussten , dass ein einheimischer Polizist an der Entführung zwei Monate zuvor beteiligt gewesen sein musste, dass sie nur nicht wussten, welcher. Aber Ray Beckers Ruf war ohnehin nicht der beste, deshalb konzentrierten sie sich auf ihn und würden ihn früher oder später erwischen, und deshalb musste er weg, mit einem Haufen Geld als Polster. Hundertvierzigtausend Dollar zum Beispiel.
    Er überschlug sich fast, wie er so den halsbrecherisch steilen Hang hinunterhetzte, durch die frisch abgebrochenen Äste und verschrammten Felsen bis zu dem Wrack des Cadillac, und als er dort ankam, waren die hundertvierzigtausend Dollar weg. Einer der Täter war zurückgeblieben, in dem Wagen eingeklemmt, blutend und schwitzend, aber bei Bewusstsein. Ansprechbar.
    »Wir haben nicht viel Zeit«, sagte Becker zu dem Dreckskerl, während sich seine Hand um den Hals des Mannes schloss. »Wo ist das Geld?«
    »Weiß … nicht.«
    Das war gelogen, das musste gelogen sein, er musste wissen,

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