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Sein letzter Trumpf

Titel: Sein letzter Trumpf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Zsolnay Verlag
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vermeiden, dass seine Tarnung platzte oder er einen dummen Fehler machte, also brauchte er jemanden, mit dem er über diese Sache reden konnte, und diesen Chauffeur hatte er von Anfang an für einen kompetenten, vernünftigen Menschen gehalten.
    Er ging die Treppe hinauf, und oben schob der Chauffeur gerade den Rollstuhl auf die verglaste Promenade hinaus. Greg folgte den beiden. Im Moment waren nur sehr wenige Leute hier oben: Außer den wenigen Lichtern der kleinen Städte am Fluss gab es nachts kaum etwas zu sehen. Der Chauffeur schob den Rollstuhl langsam vor sich her, ohne Eile, offenbar nur, um in Bewegung zu bleiben. Greg ging schneller, um die beiden einzuholen.

 
    SECHS
     
    Mike Carlow war froh, dass es sein letzter Abend war. Über eine Woche lang hatte er diesen verdammten Rollstuhl herumgeschoben, Noelles Exkremente in die Herrentoilette getragen und seine stumme (aber fürsorgliche) Rolle gespielt, und jetzt hatte er es gründlich satt.
    Auch das Rollstuhlschieben selbst war ihm lästig geworden. Allerdings hatte er schon gleich am ersten Abend gelernt, dass er den Rollstuhl ständig in Bewegung halten musste. Kaum hielten sie irgendwo an, schon waren sie von mitfühlenden Menschen umringt, die Fragen stellten und ihnen auf die Nerven gingen. Noelle konnte ab und zu eine Ohnmacht simulieren, um sie loszuwerden, aber auch das war Arbeit. Ständig in Bewegung zu bleiben war einfacher.
    Natürlich kamen die Aufdringlichen dann trotzdem noch, alle Typen, alte und junge, Männer und Frauen. Die jungen Männer, dachte Carlow, waren ihm wahrscheinlich am unangenehmsten, diejenigen, die ganz Mitgefühl und Besorgnis waren, denen man aber ansah, dass sie im Grund genommen nur eins wollten: Noelle vögeln, dass ihr Hören und Sehen verging.
    Nicht dass Carlow Noelle für sich selbst hätte haben wollen. Er hatte sie erst bei diesem Job kennengelernt, und er mochte sie; sie war ein feiner Kerl, und man konnte sich auf sie verlassen, aber sie war nicht der Typ Frau, der ihn auf diese andere Art anzog. Dafür brauchte er etwas Handfesteres,eine Frau aus seiner eigenen Welt, eine Frau, der man zum Beispiel bei Autorennen begegnete, die ein Rad wechseln konnte und deren Leibspeise Pfannkuchen waren.
    Mike Carlow bezog alles auf die Rennbahn und auf schnelle Autos. Er hatte mit Vierzehn sein erstes Rennen gefahren, mit Sechzehn zum erstenmal gesiegt und sich nie groß um irgend etwas anderes gekümmert. Zum Beispiel war er ziemlich früh dahintergekommen, dass die Benzinmenge im Tank sich auf den Schwerpunkt des Wagens auswirkte, dass der Schwerpunkt sich ständig verlagerte, während das Benzin verbraucht wurde, und deshalb hatte er, als er noch auf die Highschool ging, ein Auto konstruiert, bei dem dieses Problem nicht auftrat, weil es gar keinen Tank hatte; der Wagen war um einen Rahmen aus hohlen Aluminiumrohren herum gebaut, und das Benzin befand sich in diesen Rohren. Wenn ihm jemand sagte, es sei verrückt, einen Wagen fahren zu wollen, in dem man ringsum von Benzin umgeben sei, sagte er: »Na und?« Er sah immer noch nicht ein, was daran so falsch sein sollte, und verstand nicht, warum kein Offizieller auf irgendeiner Rennbahn in Amerika ein solches Auto zu einem Rennen zulassen wollte.
    Aber es gab auch andere Wagen und andere Konstruktionen von ihm, die doch zugelassen wurden, und so war Carlow halbwegs glücklich und zufrieden. Etwa einmal pro Jahr nahm er einen Job wie diesen an, um sich das Geld zu beschaffen, das er brauchte, um immer neue Rennwagen zu bauen, und jedes Jahr überlebte er irgendwie sowohl seine fanatische Liebe zu den Rennwagen als auch die Raubzüge, bei denen er mitmachte, um diese fanatische Liebe zu finanzieren.
    »Entschuldigung.«
    Carlow drehte sich um und sah sich einem der jungenHengste gegenüber, einem, der sie schon zuvor an diesem Abend belästigt hatte, bis Noelle einen Schwächeanfall vortäuschte. Carlow hatte keine Lust, sich schon wieder mit demselben Typ abzugeben, außerdem empfand er die Art Ungeduld, die sich einstellt, wenn man weiß, dass ein Job fast beendet ist, und fühlte sich ausgetrickst, weil er hierherauf aufs Promenadendeck gefahren war, eben weil hier nach Einbruch der Dunkelheit kaum Menschen waren, die einen belästigen konnten. Er warf dem Mann einen ziemlich eisigen Blick zu und sagte: »Ja?«
    »Es macht Ihnen doch nichts aus?« Der Typ war beflissen wie zuvor, aber jetzt schien er auch noch etwas auf dem Herzen zu haben. »Ich muss mit jemandem

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