Sein letzter Trumpf
vielleicht beim Ausfüllen ihrer Einkommensteuererklärungen.
Das war ein besonderer Vorteil von Sternbergs Lebensweise: Er musste nirgendwo Steuerformulare ausfüllen. Um länger als sechs Monate legal im Vereinigten Königreich ansässig sein zu dürfen, musste man schriftlich erklären, dass man weder Arbeitslosenunterstützung beantragen noch einem geborenen Engländer seinen Job wegnehmen würde. Wie sich der Ausländer aus ausländischen Quellen finanziert, interessiert nicht, Hauptsache, er tut es. Es gab also nie einen Grund, in England Kontakt mit dem Finanzamt aufzunehmen. Da er nicht in den Vereinigten Staaten lebte oder arbeitete, ja, dort nicht einmal Rechnungen bezahlte und auch keine Kredite oder Hypothekendarlehen abstotterte, unterflog er auch das Radar der amerikanischen Finanzbehörde. Und das bedeutete, dass ihn nie jemand fragte: »Wovon leben Sie eigentlich, Mr. Sternberg?« Ideal.
Seine materiellen Bedürfnisse deckte er durch gelegentliche Zusammenarbeit mit einem zuverlässigen Partner wie Parker, seine geistig-seelischen Bedürfnisse befriedigte das Haus in Montpelier Gardens. Abgesehen von einem gelegentlichen seelenlosen Flug über den Atlantik war er deshalb ein halbwegs glücklicher Mensch, obwohl man ihm das nie an der Nasenspitze angesehen hätte.
Die Flüge waren die logische Folge seiner eisernen Regel, nie im selben Land zu arbeiten und zu leben. London –genaugenommen sogar ganz England – kam als Betätigungsfeld nicht in Frage. Immer wenn er seine Bankkonten auffüllen musste, hieß es wieder einmal ab nach Amerika, und auf die Rosen und Gurken passte solange seine Haushaltshilfe Lilian auf; der Rosenkohl konnte auf sich selbst aufpassen.
Die aktuelle Reise ins Land seiner Väter versprach leicht und profitabel zu werden. Das letzte gemeinsame Projekt mit Parker war alles andere als profitabel gewesen, aber das hatte nicht an Parker gelegen, und er hatte es ihm auch nicht angekreidet. Der neue Job ließ eher darauf hoffen, dass ein oder zwei komfortable Jahre in London SW 6 dabei herausspringen würden.
Das Problem bei diesem Job war, dass er schon zu lange dauerte. Als jemand anders ausgegeben hatte er sich auch früher schon – als Telefontechniker, als Brandschutzinspektor –, aber nie fünf Stunden lang. Von acht Uhr abends bis ein Uhr nachts auf dem engen Raum der Spirit of the Hudson , praktisch auf sich allein gestellt, weil Parker und Wycza nur herumstehen und grimmig und kompetent dreinschauen sollten, musste er nicht nur einen Politiker und einen Brooklyner darstellen, sondern auch einen missgelaunten Flegel. Schlechte Laune hatte er ja wirklich manchmal, aber er war nie ein Politiker und nie ein Brooklyner gewesen, und er hielt sich auch zugute, dass er nie ein Flegel gewesen war.
Nun ja. Das Dinner ging vorbei, die Wende vor Poughkeepsie ging vorbei, die Inspektion des Casinos, der Küche, des Zahlmeisterbüros, der Promenaden, des Spielsaals, der lachhaften Bibliothek und des ganzen Rests ging langsam vorbei. Der Maschinenraum war interessant, er ähnelte mehr einem fensterlosen Kontrollturm als dem Maschinenraum eines Schiffs, wie Sternberg ihn aus Filmen kannte. Und die ganze Zeit hindurch spielte er die Rolle des Miesepeters.
Dafür gab es Gründe. Zum einen war auch das Original so. Zum anderen konnte man die Leute durch schlechte Laune aus dem Gleichgewicht bringen, weil sie gar nicht auf die Idee kamen, dass der schwierige Typ ihnen nur etwas vorspielte; Ruppigkeit wirkt immer echt. Und der dritte Grund war der Tresorraum.
Es hatte bis jetzt nur eine einzige Auseinandersetzung gegeben, wegen der Waffen, und Sternberg hatte wie erwartet gewonnen. Auch der Tresorraum würde Anlass zu Streit geben – der Zugang zum Tresorraum war fast mit Sicherheit ein Streitpunkt –, und bis sie soweit waren, sollte nach Sternbergs Willen die gesamte Besatzung überzeugt sein, dass sie verlieren würden, wenn sie sich mit diesem Mistkerl von einem Abgeordneten anlegten.
Sicher, hätte Susan Cahill sie um halb zehn oder zehn geradewegs in den Tresorraum geführt, wäre das reine Verschwendung gewesen, weil dann das meiste Geld noch nicht unten gewesen wäre, aber sie waren davon ausgegangen, dass sie den Tresorraum überhaupt nicht erwähnen würde, und bis jetzt hatte sie es auch nicht getan.
Viertel nach zwölf, und rein gar nichts mehr zum Besichtigen übrig. Als letztes hatten sie den Sanitätsraum inspiziert und festgestellt, dass er für Erste Hilfe in
Weitere Kostenlose Bücher