Sein letzter Trumpf
reden«, sagte er, »und ich wollte Sie beide ohnehin sprechen. Ich weiß einfach nicht, was ich machen soll.«
Längs der Innenwand standen Bänke, der übrige Bereich der Promenade war offen. Direkt vor ihnen zum Heck hin schlenderten ein paar Leute umher, die sich jedoch entfernten. Hinter ihnen, zum Bug hin, saß ein erschöpftes älteres Paar fast schlafend auf einer Bank. Carlow registrierte das alles, denn er hatte ein Gespür für Probleme dieser Art, wenn er bei einem Job mitmachte, ein Gefühl, das ihm sagte, wann ein Riss im Gewebe war, und er hatte gerade das Gefühl gehabt, dass ein Riss im Gewebe unmittelbar bevorstand. Die Frage war: Was war schiefgegangen und was konnte man dagegen tun? »Sicher«, sagte er. »Setzen Sie sich doch auf die Bank hier, damit Jane Ann sich auch an der Unterhaltung beteiligen kann.«
»Ja, gut.«
Der Typ setzte sich. Er wirkte verstört, wegen irgend etwas verwirrt, und Carlow stellte den Rollstuhl so hin und sich selbst so in Positur, dass der Typ aus beiden Richtungen längsder Promenade schlecht zu sehen war. »Schießen Sie los«, forderte er ihn auf.
»Also, die Sache ist die«, sagte der Typ, »ich bin sozusagen geheim hier, und ich bin nicht sicher, ob ich meine Tarnung aufgeben soll.«
»Sie meinen, Sie sind kein normaler Passagier«, sagte Carlow, »Sie sind nicht, was Sie zu sein scheinen, Sie sind etwas anderes.« Ein Polizist? Bestimmt nicht.
»Genau. Ich heiße Greg Manchester, und ich bin Reporter, ich mache hier eine –«
»Ein Reporter«, sagte Noelle mit einer Schärfe, die man ihr in ihrem Zustand eigentlich nicht zugetraut hätte.
Manchester war zu sehr mit seinen eigenen Problemen beschäftigt, als dass ihm Noelles Schnitzer aufgefallen wäre. Er sagte: »Die Kreuzfahrtgesellschaft lässt keine Reporter unbegleitet an Bord, deswegen spiele ich hier einfach mal Mäuschen. Nichts Negatives, nur Spaß.«
»Das heißt, Sie gehen herum«, fragte Carlow, »schauen sich alles an, machen sich Notizen …?«
»Und auch Fotos«, sagte Manchester. »Wenn niemand herschaut.« Und zu Noelle sagte er: »Deswegen wollte ich sowieso noch mal zu Ihnen kommen, um Sie nach Ihrem Namen zu fragen.«
»Sie haben Fotos von mir gemacht?« fragte Noelle. »Aber das möchte ich nicht, so wie ich aussehe –«
»Sie sind wunderschön, Miss – Jane Ann, stimmt’s?«
»Aber dann ist was passiert«, sagte Carlow. »Nämlich?«
»Es ist ein VIP an Bord, ich weiß nicht, ob Sie ihn –«
»Ja, den haben wir gesehen«, sagte Carlow und dachte, jetzt kommt’s. Hier und jetzt. »Was ist mit ihm?«
»Na ja, er gibt sich als einen Abgeordneten namens Kotkind aus«, sagte Manchester, »aber der ist er nicht. Er ist einBetrüger. Ich kenne den Abgeordneten Kotkind, ich habe ihn mal interviewt.«
»Aha«, sagte Carlow.
»Ich kann mir einfach nicht erklären«, sagte Manchester, »warum jemand so was macht. Hat der echte Abgeordnete diesen Mann an seiner Stelle losgeschickt? Er verteilt die Visitenkarte des Abgeordneten. Wenn ich etwas sage, fliegt meine Tarnung auf, und vielleicht blamiere ich mich furchtbar. Oder irgendwas stimmt nicht, und der Schiffseigner sollte davon wissen. Was meinen Sie?«
»Ich meine …« sagte Noelle und fing an zu husten. Sie versuchte, trotz des Hustenanfalls, der ihren geschwächten Körper schüttelte, weiterzusprechen, und Manchester beugte sich besorgt näher zu ihr, darum bemüht, zu verstehen, was sie sagen wollte.
Carlow hatte seine Brieftasche in der Innentasche seiner Jacke, weil er seinen Totschläger in der rechten Gesäßtasche hatte, einen schwarzen, mit Sand gefüllten Lederbeutel. Es war eine einzige, fließende Bewegung: nach hinten greifen, das Ding rausziehen, es hochheben, es runtersausen lassen und Mr. Manchester auf Eis legen.
Noelle streckte blitzartig den Arm aus, die Hand gegen Manchesters Brust gespreizt, so dass er aufrecht sitzen blieb. »Bring ihn nicht um«, sagte sie.
»Natürlich nicht«, sagte Carlow. Er wusste genausogut wie sie, dass die Justiz einen Mörder viel entschlossener verfolgt als einen Dieb. Wenn es möglich war, diesen Clown am Leben zu lassen, würde Carlow es tun. »Ich brauche einen Knebel«, sagte er, »und ich brauche was, um ihn zu fesseln.«
»Halt du ihn mal kurz.«
Carlow schob den Rollstuhl eine Handbreit weiter vor und setzte sich neben den Clown auf die Bank. Er drückte seinenlinken Ellbogen auf Manchesters Brust und sagte: »Okay.«
Noelle trug lauter leichte, luftige
Weitere Kostenlose Bücher