Sein letzter Trumpf
Sand setze. Ich nehme vielleicht zweitausend, mehr nicht, und sehe mal, ob meine Glückssträhne anhält. Ein bisschen Geld gewinnen, eine nette blonde Frau in einem langen Kleid kennenlernen, aus dem oben die Titten rausquellen, ein Glas Champagner trinken. Und eine Krawatte kaufen, bevor ich von Bord gehe.
Jenseits der Straße war die Sonne außer Sicht gesunken. Der Himmel war dunkelrot über der gezackten schwarzen Masse der Catskills, darunter war Schwärze, aus der ein paar kleine gelbe Lichtpünktchen hervorstachen. Und da kam auch das Schiff, das besagte Schiff. Es glitt den Fluss hinunter und verströmte förmlich Licht. Es verbreitete einen Scheinüber dem Wasser und in der Luft, einen dunstigen, milchigen Glanz, so dass es aussah wie ein Schiff aus einem fremden Universum, eine Fata Morgana, die in unsere schlichte dunkle Welt geschwebt kam. Ganz leise hörte er Musik, und er sah Menschen auf dem Schiff umhergehen, diesem wunderschönen weißen Schiff in seinem Schleier aus Licht.
Und du kommst zu mir, dachte er, du weißt es nur nicht. Er lächelte dem Schiff zu. In seiner Phantasie neigte sich die blonde Frau ihm zu, und auch sie lächelte.
FÜNF
Greg Manchester kam sich fast vor wie ein Spion. Anonym war er hier auf der Spirit of the Hudson , mit seiner winzigen Minolta-Pocketkamera und seinem noch kleineren Kassetten-Diktiergerät. Er lief auf dem Schiff herum, machte hier und da Fotos oder sprach leise in das Diktiergerät, und niemand ahnte auch nur im entferntesten, dass er Reporter war.
Das Verrückte war, dass er nicht einmal vorhatte, einen negativen Bericht zu schreiben. Es war nur so, dass die Firma, der das Schiff gehörte, Avenue Resorts mit Sitz in Houston, Texas, wegen der verbreiteten Vorbehalte gegen das Casino-Glücksspiel dermaßen nervös war, dass sie alles, was über sie berichtet wurde, autorisieren wollte; wurde das nicht garantiert, verweigerte sie jede Zusammenarbeit.
Bei den Fernsehleuten hatte die Geschäftsleitung damit natürlich leichtes Spiel, denn die müssen mit so viel Kameras, Aufnahme- und Beleuchtungsgeräten anrücken, dass sie überall, wo sie hinkommen, auf Zusammenarbeit angewiesen sind. Aber Greg Manchester arbeitete für die Printmedien, er war Reporter beim Journal von Poughkeepsie, einer Tageszeitung der Stadt, die zufällig das Südende der von der Spirit of the Hudson befahrenen Route bildete, und Greg Manchester hatte sich vorgenommen, eine Story zu schreiben, die nicht durch exzessive Zusammenarbeit mit Avenue Resorts harmlos, fade und langweilig wurde.
Sein Redakteur war anfangs skeptisch gewesen, weil die Spirit of the Hudson bereits ein wichtiger Anzeigenkunde war, aber Greg hatte gesagt: »Jim, ich will keinen Enthüllungsartikel schreiben. Was gibt es da auch zu enthüllen? Das ist ein sauberes Unternehmen. Es wird den Lesern einfach Spaß machen, einmal bei einer Fahrt des mondänen Schiffs Mäuschen spielen zu können.«
»Nichts Polemisches«, sagte Jim.
»Nichts Polemisches«, versprach Greg.
Das Versprechen war leicht zu halten. Dank der mehr als gründlichen öffentlichen Aufsicht und der ausgiebigen politischen Selbstdarstellung war alles auf dem Schiff blitzsauber, von den Gedecken bis hin zur Moral der Besatzung. Deshalb wollte sich Greg vor allem auf menschlich interessante Aspekte konzentrieren, und das brachte ihn ganz von selbst auf die junge Frau im Rollstuhl.
Das arme Ding, am liebsten hätte er sie in den Arm genommen. Sie musste Ende Zwanzig sein, genau wie er, aber sie war so schwach, so verletzlich, und trotzdem so tapfer. Wenn er nicht aufpasste, würde sie seinen ganzen Artikel monopolisieren, und das wollte er nicht. Sie würde natürlich darin vorkommen, das schon, aber Hauptthema musste das Schiff bleiben.
In den ersten Stunden der Fahrt beschränkte er sich daher auf eine kurze Unterhaltung mit dem Mädchen im Rollstuhl und dem ziemlich taff wirkenden Mann in Chauffeursuniform, der sie herumschob. Sie waren zu dem Zeitpunkt draußen auf dem Promenadendeck und schauten zu, wie das Ufer vorüberzog, und er ging hinüber, um ein bisschen Smalltalk zu machen – Glück mit dem Wetter, schöne Landschaft, so in der Art, einfach um eine Beziehung herzustellen –, und sie waren beide freundlich zu ihm, aber sie war offenbar sehr schwach und nicht in der Lage, viel zu reden, deshalb ging erbald weiter, sah sich andere Sachen an, machte hier und da Fotos (ein paar von dem Mädchen im Rollstuhl, natürlich, er
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