Sein letzter Trumpf
also war natürlich er derjenige, der einen Deal machte und gegen die anderen aussagte, und die anderen gingen alle in den Knast, während er nicht einmal einen entsprechenden Vermerk in seiner Akte hatte; er wurde ehrenhaft entlassen. Nur wollte ihn die Army nie wiederhaben.
Die Polizeiarbeit, so stellte sich heraus, war ganz ähnlich wie der Militärdienst, nur die Uniformen hatten andere Farben. Aber das Grundprinzip war das gleiche: Es gab strenge Vorschriften, die leicht zu verstehen waren. Solange man sich daran hielt, war alles in Butter. Und als Polizist, vor allem in einer Kleinstadt, brauchte man sich nicht einmal den Arsch aufzureißen.
Der andere Schönheitsfehler war das Geld. Der Alte war ein entsetzlicher Geizkragen gewesen, und das war er zweifellos auch heute noch; Ray hatte seit über zehn Jahren keinerlei Kontakt mehr zu seiner Familie gehabt. Was wäre schon für ihn drin gewesen? Für den Alten arbeiten und nichts dafür kriegen. Dass Ray nicht da war, würde der Alte erst merken, wenn er jemand anders für die Schwerarbeit anstellen musste.
Siebenunddreißig Jahre alt. Der geborene Versager, der eigentlich nicht viel vom Leben erwartete, aber nicht der Versuchung widerstehen konnte, krumme Dinger zu drehen. Man zeigt ihm eine Vorschrift, er sagt »Ach, Gott sei Dank gibt es Vorschriften« und meint es auch absolut ehrlich, aber gleichzeitig sucht er von Anfang an nach einer Möglichkeit, die Vorschrift zu umgehen, sie ins Gegenteil zu verkehren, ihr zu trotzen oder sie zu ignorieren. Vielleicht hatte er auch das von dem Alten geerbt.
Wie auch immer, Ray Beckers Zeiten als Versager waren vorbei. Diese letzte Geschichte war die entscheidende Lektion. Vier Millionen Dollar in Geldmarktpapieren, die aus einer pleite gegangenen Bank im Süden per Lkw nach Chicago transportiert wurden. Ein großer Sattelschlepper voller Wertpapiere und einer Handvoll bewaffneter Wachleute. Zwei neutrale Autos, eins davor und eins dahinter, mit weiteren Bewaffneten. Und da kam der Konvoi daher, mitten durchs Land, unterwegs zu den großen steinernen Banken von Chicago, der amerikanischen Schweiz.
Wer wusste von dem Transport von so viel wertvollem Papier? Hunderte von Leuten, allesamt vermeintlich zuverlässig. Bankmenschen, der Wachdienst, der die bewaffneten Begleiter stellte, verschiedene Bundesbehörden und die jeweilige örtliche Polizei, die ja erfahren musste, was in ihrem Bezirk vor sich ging, aus Höflichkeit ebenso wie aus praktischen Gründen.
Ray hatte keine Ahnung, wer den Überfall geplant hatte, aber einer von der Bande war ein alter Kumpel aus seiner Militärzeit, einer von denen, die er in den Knast gebracht hatte, der jetzt raus war und sich mit einer viel professionelleren Diebesbande zusammengetan hatte. Der alte Kumpel Phil hatte herausgefunden, was Ray Becker inzwischen machte, erklärte ihm, dass er bereit sei, ihm zu verzeihen und die alten Armyzeiten zu vergessen, weil der alte Kumpel Ray den alten Kumpel Phil mit Informationen darüber versorgen werde, wie und wann der Lkw voller Wertpapiere vorbeikommen würde – zu welcher Zeit auf welcher Straße und mit was für einer zusätzlichen Eskorte. Und nur zum Zeichen dafür, dass der alte Phil nicht nachtragend war, sollte Rays Anteil zweihunderttausend Dollar betragen. Ein netter Notgroschen. Und nur zum Zeichen dafür, dass das alles ernst gemeint war,händigte der alte Kumpel Phil dem alten Kumpel Ray als Anzahlung tausend Dollar aus, in zehn neuen Hundertdollarscheinen.
Weil er sowieso nicht mehr bekommen würde?
Das Meisterstück des ewigen Versagers. Einen Vier-Millionen-Dollar-Raub möglich machen, eine mickrige Anzahlung von tausend Dollar kassieren und dann der einzige sein, der geschnappt wird und dafür in den Knast geht.
Diesmal nicht. Diesmal hatte er ausnahmsweise einmal Glück gehabt. Diesmal dachte er, er würde die hundertvierzigtausend Dollar bekommen, die ihm helfen würden, sich abzusetzen und mit einer anderen Identität irgendwo anders neu anzufangen, doch statt dessen hatte er Marshall Howell bekommen, dann Hilliard Cathman, dann Parker und die anderen, dann das Casinoschiff.
Spirit of the Hudson . Endlich ist das Glück einmal auf meiner Seite, dachte Ray Becker. Vielleicht nehme ich mir ein bisschen von dem Geld von heute abend, irgendwann demnächst, mache eine Fahrt auf dem Schiff mit und warte ab, was passiert. Nicht das ganze Geld, um Gottes willen, nicht einmal viel, nicht, dass ich wieder alles in den
Weitere Kostenlose Bücher